Die meisten Säugetiere verfügen über zwei olfaktorische Systeme: Riechschleimhaut und
Vomeronasalorgan mit ihren jeweiligen Projektionen im Gehirn. Nach klassischer Auffassung
lösen Duftstoffe in den Sinneszellen der Riechschleimhaut sensorische Reize aus, die via
Bulbi olfactorii an Riechzentren im Zentralnervensystem weitergeleitet und bewußt wahrgenommen,
bzw. durch Verbindungen zum limbischen System auch emotional verarbeitet werden. Zusätzlich
findet sich im Nasenseptum das paarige Vomeronasalorgan aus dem pheromonale Geruchseindrücke
via akzessorische Bulbi olfactorii zum Hypothalamus bzw. ins limbische System geleitet werden
und nicht ins Bewußtsein vordringen. Solche Pheromone sind volatile chemische Signalstoffe,
die von einem Individuum in seine Umgebung abgegeben werden und durch die Luft getragen bei
Artgenossen physiologische Prozesse und Verhaltensweisen beeinflussen. Daß Pheromone auch bei
zwischenmenschlichen Beziehungen im Spiel sind, wird heute weitgehend akzeptiert. Allerdings
ist längst nicht geklärt, inwieweit beim Menschen ein Vomeronasalorgan an der Wahrnehmung von
Pheromonen beteiligt ist.
Haben Menschen ein akzessorisches Geruchsorgan?
Über die Existenz eines Vomeronasalorgans beim erwachsenen Menschen bestand lange Zeit Unklarheit.
Seine eigentliche Entdeckung durch den Holländer Ruysch bereits im Jahr 1703 geriet wieder in Vergessenheit.
Erst in neuerer Zeit wurde das Vomeronasalorgan als bilateral an der Basis der Nasenscheidewand gelegenes,
rudimentär ausgebildetes Grübchen mit Sinneszellen beschrieben, das offenbar konstant vorhanden ist [1].
Anhand von elektronenmikroskopischen Aufnahmen wurden in solchen Grübchen Epithelzellen mit Neurofilamenten
identifiziert, die als funktionstüchtige chemosensitive Strukturen interpretiert wurden [2].
Dennoch bestehen weiterhin kontroverse Ansichten darüber, ob das Vomeronasalorgan beim Menschen sensorisch aktiv ist, oder lediglich ein funktionsloses Rudiment darstellt. In einer Reihe von Experimenten mit Substanzen, die beim Menschen als Pheromone gelten, wurden mittels funktioneller Kernspinresonanz-Tomographie eine kortikale Aktivierung nachgewiesen, gleich ob der vomeronasale Ductus abgedeckt war oder nicht.
Weitere Anhaltspunkte dafür, daß Menschen ihr Vomeronasalorgan vermutlich kaum oder gar
nicht nutzen, liefern vergleichende Untersuchungen über die Existenz von vomeronasalen
Rezeptoren vom Typ 1 (V1R)-Genen bei der Maus (165), der Ratte (106), dem Hund (8), dem
Menschen (2) und dem Schimpansen (0) [4]. Unerwartet ist insbesondere das Ergebnis für den
Hund, von dem sicher geglaubt wird, daß er über ein intaktes Vomeronasalorgan verfügt, und
der eine Reihe Pheromon-gesteuerter Verhaltensweisen zeigt. Die Dezimierung der V1R-Gene beim
Hund ist unter Umständen eine Folge der Domestizierung. Offenbar sind Funktionen des
Vomeronasalorgans auf das normale Riechepithel übergegangen. Was für den Hund vermutet wird
könnte natürlich auch bei seinem Herrchen oder Frauchen im Laufe der Evolution eingetreten sein.
Kein funktionstüchtiges Vomeronasalorgan zu haben bedeutet daher nicht zwangsläufig, daß
Pheromone keine Rolle spielen.
Explizit weibliche Pheromone finden sich auch im Vaginalsekret. Diese als „Kopuline“ bezeichneten
Substanzen bilden ein Gemisch aus flüchtigen Fettsäuren, dessen Zusammensetzung zyklusabhängig variiert.
Ovulatorische Kopuline führen bei Männern unter anderem zu einem Anstieg der Testosteronkonzentration.
Das Aussenden solcher Botenstoffe wurde durch Untersuchungen von McClintock von der Universität Chicago indirekt bestätigt. Demnach informieren Frauen ihre Zimmergenossinnen via Pheromone aus der Achselhöhle über das Fortschreiten ihres Zyklus und initiieren untereinader die Synchronisation des Zyklus [7].
Über die Art der Pheromone im Achselschweiß von Frauen, mit denen sie untereinander kommunizieren war zunächst nichts bekannt. Weitergehende Untersuchungen hierzu führten auf die Spur des Androstenols [8]: Bei zusammen wohnenden Frauen, die ihren Zyklus synchronisierten, lag die Schwelle für das Riechvermögen von Androstenol deutlich unter der von den Frauen, deren Zyklus weiterhin nicht synchronisiert war. Kein Unterschied zwischen beiden Gruppen bestand hingegen bezüglich der Sensitivität gegenüber Androstenon.
Frauen reagieren auch auf das Odeur eines männlichen Partners. In diesem Fall fungieren die Testosteronderivate aus dem Achselschweiß
als Taktgeber eines regelmäßigen ovariellen Zyklus [9].
In jüngerer Zeit wurden Effekte des vermeintlichen männlichen Pheromons Androstadienon genauer untersucht. Die Sensitivität der Menschen für den Geruch des Androstadiens ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Die Wahrnehmungsschwelle liegt bei Frauen meist niedriger als bei Männern. Interessanterweise erhöht sich diese Schwelle bei Männern während der Adoleszenz [11]. Bei Frauen wurde mit für sie geruchlosen Dosen an Androstadienon Wirkungen auf die Stimmungslage nachgewiesen [12].
Offenbar vermitteln visuelle und olfaktorische Eindrücke gemeinschaftlich ein Bild über einen potentiellen Partner. Männliche Gesichtszüge im Zusammenhang mit männlichen Pheromonen finden Frauen besonders attraktiv. Gleiches wurde mit umgekehrten Vorzeichen auch für Männer registriert [13].
Zwei der meist beachteten Studien stellten die Frage ins Zentrum, ob sich durch männliche oder weibliche Pheromone die Attraktivität für das jeweils andere Geschlecht erhöhen läßt. Mit Plazebo-kontrollierten Testanordnungen wurde die aphrodisierende Wirkung synthetischer Pheromone in Duftwässerchen anhand der sexuellen Aktivitäten von Frauen und Männern quantifiziert. Die Ergebnisse: Sowohl Frauen erhöhen ihre Attraktivität für Männer durch Anlegen weiblicher Pheromone [14], und auch Männer wirken auf Frauen anziehender, wenn sie männliche Pheromone verströmen [15]. Eine kritische Bewertung beider Studien kommt allerdings zu dem Schluß, daß die Daten in keinem Fall ausreichten, um die gemachten Aussagen zu rechtfertigen [16].
Bei Mäusen wurde kürzlich nachgewiesen, daß es die Liganden des MHC der Klasse I sind, die auch in der Rolle von Pheromonen
auftreten [18]. Solche MHC-Klasse-I-Peptide dienen dem Immunsystem bekannterweise dazu, gesunde und kranke, potentiell
schädliche Zellen voneinander zu unterscheiden.
Reviews:
[1] Grammer K, Fink B, Neave N. 2005. Human pheromones and sexual attraction. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 118:135-142.
[2] Meredith M. 2001. Human vomeronasal organ function: a critical review of best and worst cases. Chem Senses 26:433-445.
© 2003-2025 pro-anima medizin medien
–
impressum
–
mediadaten
–
konzeption
–
datenschutz