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Die Syphilis
Geschichten der Vergangenheit oder Problem der Gegenwart?


Bekannt als englische oder auch französische Lustseuche war die Syphilis im Mittelalter eine gefürchtete Erkrankung, die häufig zu geistigem Zerfall, Lähmungserscheinungen und nicht zuletzt zum Tode führte. Die erste 1497 von Leonicenus beschriebene Luesepidemie reicht in das Jahr 1495 zurück. Sie betraf die Gegend um Neapel und breitete sich über sexuelle Kontakte in rasender Geschwindigkeit über ganz Europa aus. Initial noch auf Seefahrer und Söldner beschränkt, machte der so genannte harte Schanker durch die zunehmende Verstädterung auch vor namhaften Persönlichkeiten in allen Gesellschaftsschichten keinen Halt. Erst mit der Entdeckung des Penicillins gelang es die Seuche weitgehend in den Griff zu bekommen. So galt die Syphilis in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts sogar schon als beinahe „ausgerottet”. Doch zwischenzeitig registriert man wieder eine ansteigende Zahl von Neuinfektionen in der westlichen Welt. Heute zählt die Syphilis zu den modernen Indikatorerkrankungen für sexuelle Risikobereitschaft und korreliert eindeutig mit steigendenden HIV-Inzidenzen.


Vom Quecksilber über Salvarsan zum Penicillin

    Bereits im Jahre 1564 beobachtete der Italiener Gabriele Fallopio Ulzerationen im Genitalbereich mit nachfolgenden Hautausschlägen und empfahl beim Geschlechtsverkehr mit Quecksilber getränkte Leinenbeutel anzuwenden. Im Prinzip
      
    Primäreffloreszenz der Syphilis: Die hautfarbene Papel.
    entsprach das den heute verwendeten Latexkondomen.

    Es sollte noch etliche Jahrhunderte dauern, bis 1905 endlich der Syphilis-Erreger, der Spirochät Treponema pallidum, isoliert wurde. Wenige Jahre später im Jahr 1909 wurde die Lues erfolgreich, aber mit teils schweren Nebenwirkungen durch das von Paul Ehrlich eingesetzte Salvarsan behandelt. Die in verschiedenen Stadien verlaufende Erkrankung verlor im vergangenen Jahrhundert durch die Verfügbarkeit von Penicillin ihre Schrecken. Frühzeitig eingesetzt führt das Antibiotikum zur Restitutio ad integrum.

Nur noch bei Frauen rückläufige Meldezahlen
    Gegenwärtig steigt die Zahl der gemeldeten sexuell übertragbaren Erkrankungen (STD) insgesamt wieder an, nachdem die Meldungen zwischen 1990 und 2000 bereits rückläufig waren. Auch bei der Syphilis wurde im Jahr 2000 erstmals wieder ein Anstieg der Neuinfektionen in der westlichen Welt registriert, nachdem deren Inzidenz seit 1941 erfreulicherweise konstant gesunken war. Bemerkenswert ist, dass Deutschland die höchste Syphilisinzidenz in Westeuropa aufweist (2.8).

    Bei Frauen ist das Auftreten von STD‘s zur Zeit noch regredient. Die rückläufigen Meldungen bei Frauen reflektieren auch abnehmende Fallzahlen konnataler Syphilis, die zwischen 1989 und 1991 zunächst noch einen dramatischen Anstieg mit häufig schweren Folgen aufwiesen. Unbehandelt führt eine Infek-tion mit Treponema pallidum in der Frühschwangerschaft in bis zu 40% der Fälle zum intrauterinen Fruchttod. Bei einer einige Jahre vor der Schwangerschaft erworbenen Lues latens seropositiva kommt es in mehr als 60% der Fälle zur Übertragung des Erregers auf das Ungeborene.

Hohe sexuelle Risikobereitschaft in Ballungszentren
    Neue statistische Erhebungen liefern erschreckende Daten über regelrechte Syphilis-Epidemien in großstädtischen Ballungszentren wie z.B. San Francisco. Diesen folgt wenige Jahre später eine Zunahme der HIV-Infektionen. In einer
      
    Primäraffekt bei einem Patienten mit HIV-Infekt.

    Papulosquamöses Syphilid.

    Palmares Syphilid.

    Clavi syphilitici.
    Syphilis: Primäraffekt.

    Plaques muqueuses.
    Angina specifica.

    umfassenden Studie konnten Katz MH et al. (2002) in San Francisco einen Anstieg der Syphilis-Infektionen um 140%, der Fälle von rektaler Gonorrhoe um 200% und die Inzidenz von HIV-Infektionen um 300% zeigen, entsprechend der sexuellen Risikobereitschaft und angewandter Sexualpraktiken (häufig wechselnder rezeptiver Analverkehr). Dukers N et al. (2001) beschrieben eine ähnliche epidemiologische Entwicklung mit ungefähr der gleichen Zunahme an HIV- und Syphilis-Infektionen.

    In einem Bericht von Chaisson et al. (2003) konnte die immanente Rolle moderner Medien und der Telekommunikation für die Verbreitung sexuell übertragbarer Erkrankungen nachgewiesen werden. Im Rahmen einer anonymen Befragung ließ sich eindeutig belegen, dass via Internet die Möglichkeit besteht, schier unbegrenzt sexuelle Verabredungen zu treffen. Hierbei zeigte sich insbesondere unter HIV-positiven homosexuellen Männern eine signifikante Korrelation zwischen der Anzahl der online vereinbarten sexuellen Zusammenkünfte und der Häufigkeit von ungeschütztem analen Verkehr (UAV).

    Problematischerweise wird ein negativer HIV-Test häufig als Sicherheitsgarantie für risikolosen ungeschützten Geschlechtsverkehr missverstanden, zumal die Behandlung von Syphilis, Gonorrhoe, Chlamydien und Trichomonaden medizinisch vermeintlich keine Herausforderung mehr darstellt. Dabei werden aber die zunehmend eintretenden Resistenzen nicht in Rechnung gestellt. Solche bestehen z.B. sogar bei den normalerweise problemlos behandelbaren Gonokokken. Auch das Zeitfenster bis zur diagnostizierbaren Serokonversion von HIV oder Hepatitis B und C stellt einen Risikofaktor dar.

    Riskanterweise zeichnet sich ein Nachlassen der Angst vor HIV und AIDS ab. HIV gilt im Gegensatz zu den 80iger Jahren heute als gut behandelbar. Rasche tödliche Verläufe werden nur noch selten beobachtet. Die Arbeitsgruppe um Kalichman SC et al. (2001) publizierte eine Studie über die Risikoabschätzung des persönlichen Sexualverhaltens bei HIV-positiven Patienten, in der sich die Vermutung bestätigte, dass Patienten mit Viruslasten unterhalb der Nachweisgrenze eine erhöhte Risikobereitschaft zeigen. Grund hierfür war eine Fehleinschätzung des Transmissionsrisikos.

Hohe Transmissionsrate pro Risikosexualkontakt
    Auch in deutschen Großstädten zeigen sich Tendenzen zu vermehrter sexueller Risikobereitschaft, die sich unter anderem in der steigenden Syphilis-Inzidenz ausdrückt. Galt die Syphilis in den 80iger Jahren als beinahe „ausgerottet“, zählt sie heute zu den modernen Indikatorerkrankungen für sexuelle Risikobereitschaft und korreliert eindeutig mit der steigenden HIV-Inzidenz. In Deutschland werden aktuell 2.8 Erkrankungsfälle pro 100.000 Einwohner registriert. Vor allem in Ballungszentren mit Zustrom aus dem osteuropäischem Ausland vervielfachten sich die Neuerkrankungen in den vergangenen drei Jahren.

    Die Transmissionsrate pro Risikosexualkontakt liegt bei den vorherrschenden Sexualerkrankungen (Syphilis, Gonorrhoe, Chlamydien- und Trichomonaden-Infektionen) mit mehr als zwei Zehnerpotenzen ungleich höher, als die Gefahr eine HIV-Infektion zu aquirieren. Dies beweist letztendlich, dass sowohl die Infektiosität als auch der Infektionsmodus der jeweiligen STD zwar differieren, sich aber dennoch bei ansteigenden Syphilismeldungen auch entsprechend höhere Inzidenzen bei HIV und Hepatitis C einstellen. Betrachtet man die Risikogruppen für HIV und Syphilis, so zeigen sich, wie auch für andere sexuell übertragbare Erkrankungen, keine Unterschiede. Beachtenswert scheint, dass der Zusammenhang – Zunahme der Syphilis-Infektionen, gefolgt von der Zunahme der HIV-Inzidenz – unabhängig vom Entwicklungsstand, von kulturellen Unterschieden und Besonderheiten einzelner Länder, Allgemeingültigkeit besitzt. Neben den zwei führenden Gruppen Homosexueller und Drogengebrauchender, sind vor allem promiske Heterosexuelle, Prostituierte und Jugendliche mit mangelhafter Reflektion potentiell vorliegender Geschlechtserkrankungen betroffen.

Summationseffekt bei der Transmissionsrate
    Da die Infektanfälligkeit mit zunehmender Irritation bzw. Verletzung der Genitalschleimhaut steigt, hängt das Transmissionsrisiko eindeutig von den angewandten Sexualpraktiken ab. Als genital ulzerierende Erkrankung erleichtert der syphilitische Primäraffekt die Transmission weiterer Geschlechtserkrankungen wie Hepatitiden und HIV. Diese enge Korrelation spiegelt sich auch in epidemiologischen Studien von Borisenko KK et al. (1999) und Albird R (2000) wider. Erkrankungen, die zu genitalen Schleimhautläsionen führen, steigern das Infektionsrisiko für den HIV-negativen Geschlechtspartner. Bei guter Immunitätslage und niedriger Virusreplikation erhöht sich dieses Risiko um den Faktor 2.6 (Ratio). Darüber hinaus wächst das Risiko exponentiell bis zum Faktor 27.7 (Ratio) an, wenn die Viruslast über 38.500 Kopien/ml beträgt.

    Von Valdisseri RO (2003) veröffentlichte Analysen zu syphilitischen Epidemien in amerikanischen Ballungszentren haben ergeben, dass bei bis zu 59% der wissentlich HIV-positiven Männer unter antiretroviraler Therapie zeitgleich eine Syphilis-Infektion vorliegt. Offensichtlich bewirkt das zeitgleiche Vorhandensein mehrerer Geschlechtserkrankungen einen Summationseffekt bezüglich der Transmissionsrate (Pilcher, CD et al. 2003). Deshalb erhöht sich einerseits bei Vorliegen einer ulzerierenden STD das HIV- und Hepatitis C-Infektionsrisiko und umgekehrt läuft auch eine STD bei räexistenter HIV-Infektion wesentlich aggressiver ab. So ist bei HIV-Patienten auch heute noch die Lues maligna – eine fulminant verlaufende Form der Syphilis – gefürchtet und kann bei nicht frühzeitig eingeleiteter Systemantibiose tödlich verlaufen.

Fazit
    Die aus der Bandbreite sexuell übertragbarer Erkrankungen resultierenden Probleme stellen eine große Herausforderung dar und machen entsprechende Präventionsstrategien nicht nur in dafür spezialisierten Zentren erforderlich. Vielmehr müssen Vorsorge und Therapiemanagement auch in weiteren Gesundheitsbereichen thematisiert werden, um die Transmissionsraten zu reduzieren, die Infektionsdauer zu verkürzen und Komplikationen bei Infizierten früh zu erkennen und zu behandeln. Unsere Botschaft sollte sowohl via Internet als auch im Rahmen herkömmlicher Präventionsmaßnahmen bei den einzelnen Risikogruppen ankommen: Der sicherste Weg, sich keine sexuell übertragbare Erkrankung zuzuziehen, ist immer noch das Meiden unsicherer sexueller Kontakte.

    Verfasser: N. H. Brockmeyer und B. Hochdorfer
    Literatur bei den Verfassern.

    Anschrift für die Verfasser: Prof. Dr. N.H. Brockmeyer,
    Klinik für Dermatologie und Allergologie der Ruhr-Universität,
    Gudrunstr. 56, 44791 Bochum,
    E-Mail: n.brockmeyer@derma.de
April 2004 Druckversion (pdf) jfs
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