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Low-risk Prostatakrebs
PSA-Screening, Überdiagnose, Active Surveillance: Update 2012


Active Surveillance wird zunehmend als geeignete, zukunftsträchtige Behandlungsstrategie bei low-risk Prostatakrebs akzeptiert. In solchen Programmen ist die Behandlung der Patienten erst vorgesehen, wenn von einer Krankheitsprogression auszugehen ist. Durch das Angebot von Active Surveillance soll nicht zuletzt ein Großteil der Übertherapien vermieden werden, die aus so genannten Überdiagnosen des Prostata-spezifisches Antigen (PSA)-Screenings resultieren. Weithin gelten Männer mit einem Prostatakarzinom im Stadium T1c oder T2a, einem PSA-Spiegel <10 ng/ml und einem Gleason Score von 6 oder darunter als bestens geeignete Kandidaten für Active Surveillance. Das trifft auf knapp die Hälfte der beim PSA-Screening entdeckten Prostatakarzinome zu. Die Entscheidung für Active Surveillance setzt voraus, dass das Vermeiden bzw. das Hinausschieben der Nebenwirkungen einer definitiven Therapie vom Patienten als bedeutsamer eingestuft wird, als die Inkaufnahme eines minimal erhöhten Risikos der späteren Metastasierung oder des Versterbens am Prostatakrebs [1, 2].



    Bei verbreiteter Inanspruchnahme eines PSA-Screenings wächst der Kreis der Männer, der sich mit einer Prostatakrebs-Diagnose auseinanderzusetzen hat. Das bedeutet nicht, dass gesunde Männer durch Fehldiagnosen zu Krebspatienten werden, sondern es werden zunehmend maligne Entartungen der Prostata erfasst, die anderweitig niemals entdeckt worden wären, da sie in der Lebensspanne des Mannes keine Symptome verursacht hätten. Doch einmal diagnostiziert sind sie nicht mehr „aus der Welt zu schaffen“. Denn wohl für jeden Mann stellt die Entdeckung eines Prostatakarzinoms – auch wenn es als low-risk bzw. insignifikant eingestuft wird – zunächst einmal eine erhebliche psychische Belastung dar. Betroffene sind heute vielfach mit der quälenden Entscheidung konfrontiert, ob sie sich einer zeitnahen Behandlung unterziehen, oder ob sie für den Aufschub der definitiven Therapie unter Active Surveillance votieren. Das Problem der Unsicherheit über den Krankheitsverlauf belastet Patienten und Arzt, denn zum Zeitpunkt der Diagnose kann niemand mit letzter Gewissheit sagen, ob sich ein als Fall von Überdiagnose eingeschätzter Prostatakrebs nicht doch als Tumor mit beträchtlichem Wachstumspotenzial entpuppt. Zahlreiche Urologen tendieren in dieser Situation eher dazu, der Behandlung grundsätzlich den Vorzug zu geben. Andererseits hat sich Active Surveillance als höchst effektiv herausgestellt mit berichtetem krankheitsspezifischem Überleben von 97% bis 100% nach drei bis zehn Jahren. Nur eine Fakten-orientierte Aufklärung über die Gleichwertigkeit verschiedener therapeutischer Strategien kann Männern mit neu diagnostiziertem Prostatakrebs behilflich sein, das Risiko für Krankheitsergebnisse wie langfristiges Überleben, Metastasierung, Inkontinenz, Sexualstörungen und Darmprobleme bei den in Frage kommenden Behandlungsverfahren abzuwägen.

Hohe Prävalenz mikrofokaler Krankheitsherde in der gesunden Bevölkerung
    Während der Ära, als Krebs bei Patienten im Wesentlichen erst diagnostiziert wurde, wenn sie Symptome der Krankheit
    Die wachsende Bedeutung von Active Surveillance erklärt sich aus der vermehrten Diagnose von Prostatakarzinomen mit geringem Wachstumspotenzial
    aufwiesen, konnten Neoplasien im Allgemeinen als weitgehend fatal eingestuft werden. Daran hat sich seit der breiten Anwendung von Diagnoseverfahren, die Krebs entdecken können, bevor Symptome in Erscheinung treten, einiges geändert. Die frühzeitige Entdeckung maligner entarteter Herde führte zu der Erkenntnis, dass die Diagnose die Krankheitssituation im Wesentlichen zu einem bestimmten Zeitpunkt erfasst. Der Krankheitsverlauf kann interindividuell erheblich variieren: In einigen Fällen wächst der Krebs extrem schnell, insbesondere Prostatakrebs wächst häufig relativ langsam und einige Karzinome können das Wachstum einstellen oder sich sogar zurückbilden [3].

          Seit der breiten Einführung sensitiver Tests zur Dia­gnose von Prostatakrebs stellt sich das Problem der Überdiagnose.



    Hierin kommt zum Ausdruck, dass vielfach mikrofokale Krebsherde entdeckt werden, die dem Patienten im weiteren Leben keine Schwierigkeiten gemacht und nicht zum Tode geführt hätten. Das setzt ein umfangreiches Reservoir der Krankheit in der gesunden Bevölkerung voraus. Für Prostatakrebs wurde eine Rate an Überdiagnose von 87% bis 94% errechnet, sofern das gesamte Reservoir an „stummem“ Krebs ermittelt würde. Ähnlich hohe Einschätzungen liegen auch für Schilddrüsen- und Brustkrebs vor. Ermittlungen des Reservoirs an zu Lebzeiten unentdecktem Prostatakrebs bei Autopsien in den USA und in Griechenland ergaben eine Spanne von etwa 30% bis 70% bei Männern über 60 Jahre alt (Abb. 1). Neben dem altersabhängigen Ausmaß des Reservoirs spielen offenbar auch soziogeographische Einflüsse eine Rolle.

Weithin kontroverse Bewertung des PSA-Screenings auf Prostatakrebs
    Mit dem PSA-Screening auf Prostatakrebs sind im Vergleich zur klinischen Diagnose potenziell letale Prostatakarzinome zu einem deutlich früheren, eher kurablem Stadium auffindbar. Parallel zur Ausbreitung des PSA-Screenings in den westlichen Industriestaaten kam es zu einem deutlichen Absinken der Prostatakrebs-Mortalität. In welchem Maße beides zusammenhängt wird allerdings kontrovers diskutiert. Als plausible Schätzung werden hierfür ca. 50% veranschlagt [4].

          Von verschiedenen Studien zum PSA-Screening stehen sich die Prostate, Lung, Colorectal, and Ovarian (PLCO) Screening Study (76.693 Männer randomisiert) und die European Randomized Study of Screening for Prostate Cancer (ERSPC; 162.388 Teilnehmer mit diskrepanten Ergebnissen gegenüber. Während PLCO keinen Benefit für das Screening erbrachte, wies die größere ERSPC eine um 20% reduzierte Prostatakrebs-Sterblichkeit innerhalb eines Beobachtungszeitraums von neun Jahren nach. Eine auf vier ERSPC-Zentren beschränkte Analyse nach zwölf Jahren kam sogar auf eine 31%ige Verminderung der metastasierten Krankheit. Die beiden großen Studien werden vielfach vergleichend dazu herangezogen, um den Benefit des PSA-Screenings hinsichtlich der Reduktion der Prostatakrebs-Mortalität in Frage zu stellen (siehe auch Garnick MB, Prostatakrebs: Test zur Früherkennung in der Kritik, Spektrum der Wissenschaft, Oktober 2012, S. 28). Andererseits wird der Wert der PLCO-Screeningstudie allein aufgrund ihrer massiven „Kontaminierung“ mit Anwendern von PSA-Tests in der Kontrollgruppe in Frage gestellt. Die Studie erfülle nicht ein Minimum der Standards einer soliden Prüfung. Ihr fehle auch die hinreichende Power, um einen Effekt nachweisen zu können [5].

          Ein vorläufiges klinisches Gutachten (PCO; Provisional Clinical Opinion) der American Society of Clinical Oncology (ASCO) spiegelt den Konsens von Experten auf der Grundlage der aktuellen klinischen Beweislage zu einem bestimmten Thema wider. Ein von der Agency for Healthcare Research and Quality (AHRQ) 2011 erstellter Review diente als hauptsächliche Informationsquelle der aktuellen PCO für Indizien zu Nutzen und Risiken des PSA-basierten Screenings auf Prostatakrebs. Weitere Beweisermittlun­gen zu dem Thema erfolgten durch ein Update bis zum 16. März 2012. Wesent­liche Gesichtspunkte der Empfehlung sind: Bei Männern, deren Lebenserwartung auf 10 Jahre einzuschätzen ist lautet die PCO-Empfehlung, von einem allgemeinen Screening mit Gesamt-PSA Abstand zu nehmen.

          Die Rationale für das Screening von Männern auf Prostatakrebs ist die Möglichkeit, damit durch frühzeitige Entdeckung des Krebses das Risiko für Prostatakrebs-spezifisches Versterben zu vermindern. Bei nicht hinreichender Lebenserwartung ist hingegen die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass der möglicherweise zugefügte Schaden den potentiellen Nutzen übertrifft.

          Bei Männern mit einer Lebenserwartung von mehr als 10 Jahren sollten Ärzte mit ihren Patienten besprechen, ob das Testen des PSA-Spiegels für sie als Mittel zum Prostatakrebs-Screening vorteilhaft ist. Obwohl PSA-Testungen Leben retten können, sind damit Komplikationen (unnötige Biopsien, und/oder Operationen bzw. Strahlentherapien) verbunden [6].

Die geeignetesten Auswahlkriterien für Active Surveillance sind weiterhin Gegenstand von Debatten
    Im Jahr 2010 empfahl das amerikanische National Comprehensive Cancer Network (NCCN) die Anwendung von Active Surveillance nicht nur als Option, sondern als einzige initiale Behandlungsstrategie für Patienten mit einem low-risk Prostatakarzinom und einer realistischen Lebenserwartung von weniger als zehn Jahren, sowie für Patienten mit very low-risk Prostatakrebs und einer Lebenserwartung von weniger als 20 Jahren.

          Patienten mit einem einzigen Prostatakrebs-Mikrofokus sind ideale Kandidaten für Active Surveillance. In diesem Zusammenhang erwies sich die Anzahl der Stanzen als wesentlicher Prädiktor für insignifikanten Prostatakrebs, der bei der initialen Prostatabiopsie als singulärer Mikrofokus diagnostiziert worden war [7]. Daten von 233 Patienten bei deren initialer Prostatabiopsie ein einzelner Mikrofokus entdeckt worden war (Gleason Score: 6 und 5% der Stanze umfassend), und die sich anschließend einer radikalen Prostatektomie unterzogen hatten, wurden dahingehend analysiert, inwieweit die Anzahl der entnommenen Stanzen und die Wahrscheinlichkeit der Bestätigung von indolentem Krebs zu vereinbaren sind: Bei 65 der 233 Patienten (28 %) wurde das Prostatakarzinom nach radikaler Prostatektomie als pathologisch insignifikant eingestuft. Die Rate der Übereinstimmung mit der Prostatabiopsie betrug 3,8%, 29,6% und 39,4% bei Patienten mit 12 Stanzen, 13–18 Stanzen bzw. 19 Stanzen.

          Eine Arbeitsgruppe aus dem Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York untersuchte, inwieweit endorektale Magnetresonanz-Tomographie (MRT) in der Lage ist, als Prädiktor für Upgrading im Rahmen einer Kontrollbiopsie bei Patienten mit initial als low-risk eingestuftem Prostatakrebs zu dienen. Bei Patienten mit einem initial als klinisch low-risk diagnostizierten Prostatakarzinom, deren Tumor im MRT nicht deutlich sichtbar war, bestand eine höhere Wahrscheinlichkeit als bei Patienten mit klar im MRT erkennbaren Tumoren, dass sich die low-risk Merkmale bei der Kontrollbiopsie bestätigten. Drei Radiologen mit unterschiedlichem Ausbildungsstand beurteilten die Sichtbarkeit des Tumors auf einer 5-Punkteskala (1–absolut kein Tumor bis 5–mit Sicherheit ein Tumor). Zwischen den beiden versierteren Bildinterpreten bestand bei der Auswertung der MRT-Abbildungen weitgehende Übereinstimmung. Ein MRT Score 2 stand im Zusammenhang mit einem hohen negativen prädiktiven Wert (0,96–1,0) für ein Upgrading bei der Kontrollbiopsie. Bei einem MRT Score von 5 bestand eine hohe Sensitivität (0,88–0,99) für ein Upgrading bei der Kontrollbiopsie [8].

Häufige, oft frühzeitige Reklassifizierung zu höheren Risikostufen
    Protokolle für Active Surveillance bei low-risk Prostatakrebs sehen generell wiederholte Biopsien in im Voraus festgelegten Intervallen vor. Selbst bei Anwendung sehr stringenter Kriterien kommt es bei einem nicht unerheblichen Prozentsatz der Patienten, die für Active Surveillance geeignet erscheinen, zur Fehlklassifizierung (die Angaben reichen von 16% bis 42%). Bei der Durchsicht jüngerer Veröffentlichungen zur erneuten Ermittlung des Gleason-Grads nach Prostatektomie oder Rebiopsie bei Prostatakrebs-Patienten, die für Active Surveillance als geeignet eingestuft worden waren (Gleason Score ≤6), ergab die Bewertung der initialen Biopsie bei mehr als einem Drittel der Männer einen zu niedrigen Gleason-Grad. Die Autoren bezweifeln, dass allein eine Biopsie ausreichend ist, um Active Surveillance als Vorgehensweise anzubieten [9].

          Die erste Wiederholungsbiopsie nach einem Follow-up von einem Jahr bei 757 Patienten eines pros­pektiven Active-Surveillance-Programms (Prostate Cancer Research International: Active Surveillance [PRIAS]-Studie) führte zu Reklassifizierung des Risikos bei 163 Männern (21,5%). In der Analyse zeigte sich, dass die Reklassifizierung zu höherem Risiko maßgeblich durch die Anzahl positiver Stanzen (zwei gegenüber einer) und einer höheren PSA-Dichte beeinflusst wurde. Hingegen hatten das Alter des Patienten, das klinische Stadium, die Gesamtzahl der Stanzen und der PSA-Spiegel keinen signifikanten Einfluss auf das Ergebnis der Wiederholungsbiopsie. Wurde die PSA-Verdopplungszeit zum Zeitpunkt der Wiederholungsbiopsie dem Modell hinzugefügt, zeigte sich, dass eine PSA-Verdopplungszeit <3 Jahre signifikant mit einer Reklassifizierung zu höherem Risiko verknüpft ist [10].

          Aus der PRIAS-Studie wurde der pathologische Befund nach radikaler Prostatektomie von Patienten berichtet, die ursprünglich mit low-risk Prostatakrebs in das Active-Surveillance-Programm aufgenommen worden waren. Sie erfüllten dabei folgende Voraussetzungen: Klinisches Stadium ≤T2, PSA-Wert ≤10 ng/ml, PSA-Dichte <0,2 ng/ml, ein oder zwei positive Stanzen und Gleason Score ≤6. Das Studienprotokoll empfiehlt die radikale Prosatatektomie bei Risikoreklassifikation anhand einer Wiederholungsbiopsie (Gleason Score >6 und/oder mehr als zwei positive Stanzen) sowie bei einer PSA-Verdopplungszeit ≤3 Jahre. Die Ergebnisse von 189 Fällen ergaben mehrheitlich eine organbegrenzte Krankheit und einen günstigen Gleason Score. Die mediane Zeit bis zur Prostatektomie betrug 1,3 Jahre. In 143 Fällen waren Protokoll-basierte Gründe, in 24 Fällen die Ängstlichkeit des Patenten und in 22 Fällen andere Gründe ausschlaggebend. Bei 49 Patienten wurde ein ungünstiges Ergebnis der radikalen Prostatektomie ermittelt (pT3–4 und oder Gleason Score 4+3) [11].

Fortsetzung von Active Surveillance kann auch nach Biopsie-Reklassifizierung gerechtfertigt sein
    Protokolle für Active Surveillance beinhalten neben der engmaschigen Überwachung der PSA-Konzentration im Serum insbesondere Rebiopsien, bei denen unter Umständen eine Reklassifizierung des Tumors vorgenommen wird. Bei einer Verschlechterung der pathologischen Parameter erfolgt in aller Regel die Empfehlung zur Intervention. Diesbezüglich wurden in einer amerikanischen Institution (John Hopkins Medical Institution, Baltimore, MD) nach klinischen und/oder pathologischen Parametern gefahndet, die als Prädiktoren für insignifikanten Prostatakrebs bei radikaler Prostatektomie nach Reklassifizierung unter Active Surveillance dienen können [12]: Von 67 Männern, die nach median 30 Monaten nach einer Rebiopsie reklassifiziert worden waren und sich daraufhin einer radikalen Prosta­tektomie unterzogen hatten, wurde in 48 Fällen (72%) ein signifikanter Krebs im Resektionsgewebe befundet, so dass sich die Entscheidung für die Intervention als gerechtfertigt erwies. Andererseits gab es Fälle (16/37), bei denen nur ein Upgrade des Prostatavolumens ohne Uprade des Gleason-Grads vorlag und bei der radikalen Prostatektomie nach wie vor ein insignifikanter Krebs festgestellt wurde. Bei diesen Männern lag mehrheitlich bei der initialen Diagnose oder bei der Reklassifizierung ein PSA-Spiegel <4 ng/ml vor. Die Autoren glauben, dass Patienten unter dieser Bedingung als Kandidaten für eine Fortsetzung der Active Surveillance gelten können.



    Abb. 2).

    Patienten mit Intermediärrisiko-Prostatakrebs, d.h. mit einem Gleason Score 3 + 4 oder einem PSA-Spiegel über 10 ng/ml bilden mit 29% auch einen beträchtlichen Bestandteil der Studienkohorte an der Universität Toronto. Die Patienten sind über 70 Jahre alt und mit signifikanter Komorbidität belastet. Dennoch wird eine niedrige 10-jährige krebsspezifische Mortalität berichtet [9].

Aufschub der radikalen Prostatektomie bei intermediate-risk Prostatakrebs mit biochemischem Rezidiv assoziiert?
    In der Shared Equal Access Regional Cancer Hospital (SEARCH)-Datenbank wurden 1.561 Männer mit low-risk und intermediate-risk Prostatakrebs identifiziert, die zwischen 1988 und 2011 radikal prostatektomiert worden waren. Die Risiko-Stratifizierung erfolgte anhand der D´Amico-Klassifikation. Bei den Patienten mit einem low-risk Prostatakarzinom stand der Aufschub radikaler Prostatektomie über einen medianen Beobachtungszeitraum von 53 Monaten weder mit einem biochemischen Rezidiv, noch mit extrakapsulärer Ausbreitung, positiven Schnitträndern oder einem pathologischen Upgrading im Zusammenhang. Bei Männern mit intermediate-risk Prostatakarzinom deutete eine mehr als neunmonatige Verzögerung der radikalen Prostatektomie auf ein biochemisches Rezidiv und positive Operationsränder hin [13].

          Auch ausgewählte Prostatakrebs-Patienten mit intermediärem Risikoprofil werden als mögliche Kandidaten für Active Surveillance erachtet [14]. Prostatakrebs-Patienten mit einem intermediärem Risikoprofil hatten einen Cancer of Prostate Risk Assessment (CAPRA) Score 3 bis 5 – einer validierten Definition für intermediäres Risiko – oder einen niedrigeren CAPRA Score bei einem Tumor mit dem Gleason Score 3+4. Von 476 beobachteten Männern waren 376 mit niedrigem Risiko (Gruppe 1) und 90 mit intermediärem Risiko (Gruppe 2) eingestuft worden. In Relation zur Gruppe 1 hatten die Männer in Gruppe 2 ein höheres Durchschnittsalter, einen höheren mittleren PSA-Spiegel und mehr positive Stanzbefunde.

Krankheitsergebnisse nach Diagnose beim PSA-Screening und folgender Active Surveillance
    Gegenwärtig gibt es noch kaum gesicherte Erkenntnisse zu klinisch relevanten Krankrankheitsergebnissen nach Active Surveillance. Das wird sich wahrscheinlich erst mit dem Voranschreiten aktuell laufender Programme zu Active Surveillance ändern.

         



    In der Göteborg Randomized Population-based Prostate Cancer Screening Trial wurden Krankheitsergebnisse bei Patienten mit einem beim Screening entdeckten Prostatakarzinom und folgender Active Surveillance ermittelt [15]. Von 968 Männern (medianes Alter: 65,4 Jahre) mit einem anhand des durch Screening diagnostizierten Prostatakarzinoms wurden 439 unter Active Surveillance median sechs Jahre überwacht. Unter ihnen erfüllten 50% die Kriterien eines very low-risk Prostatakrebses, 26,3% wurden mit low-risk befundet, 21% mit intermediate-risk und 1,4% mit high-risk. Die Berechnung anhand der Kaplan-Meier-Kurven ergab eine mediane Dauer von 8,2 Jahren unter Active Surveillance (Abb. 2). Es wurden ein Prostatakrebs-spezifischer Tod und in einem Fall die Entwicklung von Fernmetastasen registriert – beide in der Gruppe mit intermediate-risk Prostatakrebs. Die Untersucher interpretieren ihre Ergebnisse dahingehend, dass Überbehandlungen, die ein wesentlicher potenzieller Nachteil des PSA-Screenings sein können, bei durch Screening entdeckten Prostatakarzinomen durch Active Surveillance deutlich reduziert werden können.

Prostatakrebs-Mortalität nach Active Surveillance und bei unmittelbarer radikaler Prostatektomie
    Durch Untergliederung des Zeitintervalls von der Diagnose bis zur Prostatakrebs-Mortalität in verschiedene Phasen wurde ein Simulationsmodell entwickelt, das die Prostatakrebsmortalität unter Active Surveillance gefolgt von radikaler Prostatektomie gegenüber unmittelbarer radikaler Prostatektomie abbildet. Für Männer unter Active Surveillance umfasst das Modell die Zeit von der Diagnose bis zur radikalen Prostatektomie infolge des Verdachts auf Progression (I), darüber hinaus die Zeit bis zum Rezidiv (II) und die anschließende Zeit bis zu Prostatakrebs-Mortalität (III). Bei unmittelbarer radikaler Prostatektomie schrumpft die erste Phase (Active Surveillance) auf Null. Für Patienten mit einem diagnostizierten low-risk Prostatakarzinom unter Active Surveillance resultierte ein minimal erhöhtes Risiko, an der Krebskrankheit zu versterben: Die Prostatakrebs-spezifische Mortalität innerhalb von 20 Jahren betrug für Active Surveillance 2,8% gegenüber 1,6% für Männer, die sich unmittelbar einer radikalen Prostatektomie unterzogen hatten. Verglichen mit unmittelbarer Behandlung verblieb den Männern unter Active Surveillance eine therapiefreie Zeit von durchschnittlich 6,4 Jahren. Darin liegt ein signifikanter Benefit in Form gesteigerter Lebensqualität [16].

HAROW – Versorgungsstudie zum Prostatakarzinom im deutschsprachigen Raum
    Weltweit laufen eine Reihe prospektiver Beobachtungsstudien zu Active Surveillance, deren abschließende Beurteilungen mehrheitlich erst in einigen Jahren vorliegen dürften. Im deutschsprachigen Raum wurde eine große urologische Versorgungsstudie zur Ermittlung der Lebensqualität bei der Therapie des lokal begrenzten Prostatakarzinoms initiiert:

          Hormontherapie – Aktive Überwachung – Radiotherapie – Operation – Watchful Waiting (HAROW) wurde von der gemeinnützigen Stiftung Männergesundheit mit finanzieller Unterstützung durch die GAZPROM Germania GmbH ins Leben gerufen. Die Studie ist ferner eine Zusammenarbeit des Berufsverbands der Deutschen Urologen e.V. (BDU), des Dachverbands der Prostatazentren Deutschlands e.V. (DVPZ) und des Bundesverbands Prostatakrebs Selbsthilfe e.V. (BPS). Mit der Versorgungsstudie wird die Validierung der Entscheidung von Patienten mit lokalisiertem Prostatakrebs für Active Surveillance angestrebt.

          Hierzu ist vorgesehen, die Angaben von 5.000 Patienten mit lokal begrenztem Prostatakarzinom zu Tumor-charakteristika, Krankheitsverlauf, Arzt-Patient-Beziehung und Gesundheitsökonomie auszuwerten. Das Ziel ist die Entwicklung von Kriterien, die verlässlich anzeigen, ob eine definitive Behandlung eingeleitet werden muss oder zurückgestellt werden kann. Bei der Zwischenauswertung im Jahr 2011 lagen für 1.873 Patienten Angaben zur Therapieentscheidung vor: Bei 1 009 (53%) war eine radikale Prostatektomie vorgesehen und 355 (19%) sollten defensiv betreut werden (Active Surveillance 265/Watchful Waiting 91). Für eine Bestrahlung entschieden sich 227 Patienten (12%). Im Vergleich zur Vorjahresauswertung ergab sich eine leichte Zunahme der Anwendung abwartender Strategien (+5%) zu Lasten der radikalen Prostatektomie (-3%; Abb. 3).



          HAROW ist eine prospektive Beobachtungsstudie. Für den Beobachtungsarm Active Surveillance sind Einschluss- und Abbruchskriterien festgelegt. In der aktuellen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie wird Active Surveillance als gleichwertige Option neben Operation und Bestrahlung für Tumoren mit dem Progressionsrisiko low-risk nach D´Amico bewertet. Das bedeutet ein klinisches Stadium T1–T2a, ein PSA-Wert <10 ng/ml und ein Gleason Score ≤6. Bei Patienten über dem 70. Lebensjahr wird Active Surveillance auch mit einem Progressionsrisiko intermediate-risk als vertretbar eingestuft.

          Die Einschlusskriterien der PRIAS-Studie sind etwas weiter gefasst als in der Leitlinie. Die HAROW-Studie hält es aufgrund der hohen wissenschaftlichen Akzeptanz der PRIAS-Studie für vertretbar, Active Surveillance auch Patienten anzubieten, die den PRIAS-Kriterien entsprechen. Das betrifft insbesondere Fälle der klinischen Tumorkategorie nach Tastbefund T1 und T2. Es dürfen maximal in zwei Stanzzylindern Tumoren vorliegen.

          Bei den Folgeuntersuchungen ist die vierteljährliche Bestimmung des PSA-Werts vorgesehen. Eine Rebiopsie ist erst nach zwölf Monaten und dann nach vier, sieben und zehn Jahren erforderlich.

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