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Androgendeprivation bei Prostatakrebs
Die hormonale Therapie birgt erhebliche metabolische Risiken


Die Androgendeprivationstherapien (ADT) hat in der Behandlung des lokal fortgeschrittenen und des metastasierten Prostatakarzinoms einen festen Platz. Sie bewirkt eine Supprimierung des Spiegels an Prostata-spezifischem Antigen (PSA) im Serum, führt zu einer Stabilisierung der Krankheit, lindert Symptome in der metastasierten Situation und hat das Potenzial zur Lebensverlängerung. Doch neben der Genugtuung über ein verlängertes Prostatakrebs-spezifisches Überleben für zahlreiche Patienten unter der adjuvanten hormonalen Therapie wird auf der anderen Seite eine erhöhte kardiovaskuläre Mortalität bei den behandelten Männern beobachtet. Verschiedenen Untersuchungen zufolge steht letztere mit metabolischen Komplikationen der ADT im Zusammenhang, zu denen Insulinresistenz, Diabetes mellitus Typ 2, Dyslipidämie und metabolisches Syndrom gehören [1-4].



    Nebenwirkungen einer ADT wie Gynäkomastie, Sexualstörungen, Osteoporose, unvorteilhaft veränderte Körperzusammensetzung und eine verringerte Lebensqualität sind häufig beschrieben worden. Nachdem auch metabolische Komplikationen des Androgenentzugs stärker in den Blickpunkt rücken, gilt es Nutzen und Risiken einer ADT individuell sorgsam abzuwägen.

    In den beiden letzten Jahrzehnten ist der Kreis der Prostatakrebs-Patienten, bei denen eine ADT als sinnvoll erachtet wird, erheblich ausgeweitet worden. Ihr Nutzen beim lokal fortgeschrittenen Prostatakrebs und auch in der Palliation bei fortgeschrittener/metastasierter Krankheit ist weithin anerkannt. Doch zu den adjuvant hormonell behandelten Männern gehören vielfach auch jene mit lokalem Prostatakarzinom im Frühstadium, bei denen ein Überlebensvorteil durch die ADT zumindest fraglich ist. In solchen Fällen sind die negativen Auswirkungen eines massiven Hypogonadismus mit in die Therapieentscheidung einzubeziehen.

Glukosestoffwechselstörungen
    Männer mit einem niedrigen Testosteronspiegel sind prädestiniert dafür, Insulinresistenz und einen Diabetes mellitus Typ 2 zu entwickeln – oftmals als Komponente eines metabolischen Syndroms. Dieses Risiko macht sich bei Prostatakrebs-Patienten unter einer ADT deutlich bemerkbar. Bei der Behandlung mit einem GnRH-Agonisten kommt es innerhalb von 12 Wochen zu verminderter Insulinsensitivität. Die Männer haben ein erhöhtes Risiko für Diabetes, koronare Herzkrankheite5]n, Myokardinfarkt und plötzlichen Tod. Nach Orchiektomie ist allerdings nur das Diabetesrisiko erhöht [5].

    Gegenüber gesunden altersangepassten Kontrollen hatten Männer mit nicht metastasiertem Prostatakrebs nach zumindest 12-monatiger ADT signifikant höhere alters- und Body Mass Index (BMI)-korrigierte Spiegel an Serum-Insulin, Blutglukose, HOMA-IR und Leptin. Gleiches wurde auch im Vergleich zu Prostatakrebs-Patienten ohne eine ADT nach biochemischem Rezidiv festgestellt (Abb. 1) [6].


    Neueste Ergebnisse zur Assoziation von Testosterondeprivation unter einer ADT, viszeralem Fett und Glukosestoffwechsel berichtet eine interdisziplinäre australische Arbeitsgruppe [7]: Die Prostatakrebs-Patienten verzeichneten eine deutliche Zunahme des viszeralen und subkutanen abdominalen Fettgewebes und entwickelten verstärkt Insulinresistenz. Der niedrige Testosteronspiegel stand in umgekehrter Beziehung zur Ausdehnung des viszeralen Fettgewebes. Die weitere Analyse ergab eine unabhängige Korrelation zwischen viszeralem Fettgewebe und Insulinresistenz – nicht aber zwischen Testosteron und Insulinresistenz. Die Autoren schlussfolgern, dass Insulinresistenz unter einer ADT wohl keine direkte Folge des Androgenmangels ist, sondern vielmehr mit der vermehrten viszeralen Fettansammlung im Zusammenhang steht.

Dyslipidämie
    In den letzten Jahren wurde wiederholt gezeigt, dass ein niedriger Testosteronspiegel mit einem ungünstigen Lipidprofil im Zusammenhang steht. Hyperlipidämie – insbesondere erhöhte Gesamtcholesterin-, LDL- und Triglyzeridwerte – gehört zu den anerkannten Risikofaktoren für kardiovaskuläre Krankheiten und Mortalität. Daten aus den westlichen Industrieländern zeigen, dass die Triglyzeridspiegel und das Gesamtcholesterin unter der Behandlung mit einem GnRH-Agonisten um ca. 26% bzw. um ca. 10% ansteigen. Erstaunlicherweise wurden auch um 8% bis 11% höhere Spiegel an HDL-Cholesterin berichtet [2].

    Ähnliche Daten liegen auch für ostasiatische Bevölkerungen wie die Japans vor. Dort kommt der ADT eine noch größere Bedeutung zu wie in den westlichen Industrieländern. Die hormonelle Therapie wird bei Prostatakrebs in einem hohen Prozentsatz der Fälle primär eingesetzt. In der aktuell veröffentlichten Studie einer japanischen Arbeitsgruppe wurde ein Anwachsen der Gesamtfettmasse und insbesondere des viszeralen Fettes bei Prostatakrebs-Patienten unter einer ADT nach sechs Monaten ermittelt. Der Anstieg setzte sich bis zum Ende der Untersuchung nach 12 Monaten fort. Parallel dazu erhöhten sich die Konzentrationen an Gesamtcholesterin und LDL-Cholesterin signifikant [8].

Metabolisches Syndrom
    Das metabolische Syndrom wird zwar unterschiedlich definiert, doch es kann allgemein als Anhäufung kardiovaskulärer Risikofaktoren aufgefasst werden. Hierzu gehören zentrale Adipositas, Bluthochdruck, Dyslipidämie und wenig körperliche Aktivität – jeweils in enger Beziehung zu Insulinresistenz.

    In einer Querschnittsstudie wurden die Inzidenz des metabolischen Syndroms wie auch die verschiedener seiner Komponenten bei drei Gruppen von Männern verglichen [9]. Zum einen hatten Patienten mit einem nicht metastasiertem Prostatakarzinom für mindestens 12 Monate eine ADT erhalten. Die zweite Gruppe stellten Prostatakrebs-Patienten, die nach lokaler Therapie einen PSA-Anstieg aufwiesen. Sie waren wie auch die altersangepassten Männer der Kontrollgruppe eugonadal. Bei den Männern der ADT-Gruppe wurden deutlich häufiger ein metabolisches Syndrom, abdominale Adipositas, eine Hyperglykämie und eine Hypertriglyzeridämie ermittelt als bei den Männern der anderen beiden Gruppen (Abb. 2). Die Unterschiede für LDL, HDL und Hypertonie erreichten keine statistische Signifikanz. Bestimmende Faktoren für die Entwicklung eines metabolischen Syndroms unter einer langfristigen ADT scheint abdominale Adipositas und Hyperglykämie zu sein.


    Prostatakrebs-Patienten unter einer ADT gehören prinzipiell zum Personenkreis mit erhöhtem Risiko für das metabolische Syndrom [1]. Bei ihnen sollte nicht abgewartet werden bis sich Stoffwechselstörungen manifestieren und die Diagnose eines metabolischen Syndroms gesichert ist, sondern es ist sinnvoller, den Männern von vornherein durch Aufklärung und Beratung über den Nutzen einer adäquaten Lebensstilanpassung beiseite zu stehen. In diese Richtung zielt der Ansatz französischer und belgischer Urologen/Andrologen, die ein „Educational Tool-kit“ zur Ernährung und körperlichem Fitness-Training für Patienten, die mit einer ADT beginnen, entwickelt und in praxi getestet haben [10]. Die Autoren berichten über eine überwiegend positive Aufnahme durch Patienten und Ärzte.

Fazit
    Mit der ADT steht heute ein wesentlicher Grundstein für die Behandlung des Prostatakarzinoms – insbesondere in der palliativen Situation – zur Verfügung. Es gilt jedoch „die falsche Anwendung und/oder den Missbrauch“ der ADT zu vermeiden [11]. Denn Androgene spielen in der Regulation der Fettverteilung, für die Insulinsensitivität wie auch für den Lipid- und Knochenstoffwechsel eine essenzielle Rolle. Das spiegelt sich in einer Reihe von Publikationen der letzten Jahre wider, die über eine erhöhte Gesamt- und kardiovaskuläre Morbidität wie auch Mortalität im Zusammenhang mit der ADT berichten.

    Literatur:
    [1] Collier A, Ghosh S, McGlynn B, Hollins G, 2011. Prostate cancer, androgen deprivation therapy, obesity, the metabolic syn­dr­ome, Type 2 diabetes, and cardiovascular disease: a review. Am J Clin Oncol [Epub ahead of print].
    [2] Saylor PJ, Smith MR, 2010. Adverse effects of androgen deprivation therapy: defining the problem and promoting health among men with prostate cancer. J Natl Compr Cancer Netw 8:211-223.
    [3] Basaria S, 2008. Androgen deprivation therapy, insulin resistance and cardiovascular mortality: an inconvenient truth. J Androl 29:534-539.
    [4] Shahani S, Braga-Basaria, Basaria S, 2008. Androgen deprivation therapy in prostate cancer and metabolic risk for atherosclerosis. J Clin Endocrinol Metab 93:2042-2049.
    [5] Keating NL, O’Malley AJ, Smith MR, 2006. Diabetes and cardiovascular disease duringandro­gen deprivation therapy for prostate cancer. J Clin Oncol 24:4448-4456.
    [6] Basaria S, Muller DC, Carducci MA, et al. 2006. Hyperglycemia and insulin resistance in men with prostate carcinoma who receive androgen depriva­tion therapy. Cancer 106:581-588.
    [7] Hamilton EJ, Gianatti E, Strauss BJ, et al. 2011. Increase in visceral and subcutaneous abdominal fat in men with prostate cancer treated with androgen deprivation therapy. Clin Endocrinol (Oxf) 74:377-383.
    [8] Torimoto K, Samma S, Kagebayashi Y, et al. 2011. The effects of androgen deprivation therapy on lipid metabolism and body composition in Japanese patients with prostate cancer. Jpn J Clin Oncol [Epub ahead of print].
    [9] Braga-Basaria M, Dobs AS, Muller DC, et al. 2006. Metabolic syndrome in men with prostate cancer undergoing long-term androgen-deprivation therapy. J Clin Oncol 24:3979-3983.
    [10] Lebret T, Coloby P, Descotes JL, et al. 2010. Educational Tool-kit on diet and exercise: survey of prostate cancer patients about to receive androgen deprivation therapy. Urology 76:1424-1439.
    [11] Corona G, Baldi E, Maggi M, 2011. Androgen regulation of prostate cancer: where are we now? J Endocrinol Invest Feb 4 [Epub ahead of print].

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