Humane endogene Retroviren (HERV) sind vor langer Zeit in die menschliche Keimbahn geraten und werden
von Generation zu Generation weitergegeben. Das menschliche Genom enthält mehrere Tausend endogene
Retroviren. In der Regel verhalten sich die Gene der HERV stumm, werden also nicht exprimiert und
in Proteine übersetzt. Forscher des Paul-Ehrlich-Instituts und andere Arbeitsgruppen hatten bereits
zeigen können, dass es bei HIV-Patienten, aber auch bei verschiedenen Krebserkrankungen in den
Tumorzellen verstärkt zur Expression der Gene einer Gruppe dieser Retroviren kommt. Die HERV-Gruppe
konnte als "HERV-K/HML-2(hom)" (abgekürzt HERV-K) identifiziert werden.
PEI-Forscher in der Abteilung Virologie um Barbara Schnierle wollten nun wissen, ob sich die
spezifische Genaktivität der HERV-K in Tumorzellen therapeutisch nutzen lässt, um gezielt Krebszellen
zu bekämpfen. Um normale Zellen zu schonen, ist es notwendig, Strukturen bzw. Angriffspunkte ausfindig
zu machen, die nur die Krebszellen aufweisen. Für ihre Untersuchungen verwendeten die Wissenschaftler
um Prof. Barbara Schnierle, Leiterin der Forschungsgruppe "AIDS, Neue und neuartige Erreger" eine
Mäuse-Nierenkrebszelllinie (Renca). Diese Zelllinie war genetisch so verändert worden, dass die
Zellen das (menschliche) HERV-K-Hüllprotein bildeten, um so der Situation bei HERV-positiven
menschlichen Krebszellen möglichst nahe zu kommen. Mäuse, denen diese Zellen intravenös appliziert
wurden, entwickelten nach kurzer Zeit Lungenmetastasen.
Zur "Impfung" gegen diese Tumoren nutzten die Forscher das modifizierte Vacciniavirus Ankara (MVA)
als abgewandeltes Impfvirus, das sich nicht vermehren kann. In das MVA-Erbgut hatten Schnierle und
Kollegen das Gen für das HERV-K-Hüllprotein eingebaut. Nach der Impfung wird das Gen in Zellen
abgelesen und das Hüllprotein gebildet. Es wird dem Immunsystem als Antigen präsentiert, wodurch
es zu einer Immunreaktion kommt.
Die PEI-Forscher prüften die Anwendbarkeit ihres "Impfstoffs" sowohl im Hinblick auf eine
therapeutische als auch eine prophylaktische Vakzinierung: Für den therapeutischen Ansatz
applizierten sie zunächst die genetisch veränderten Nierenkrebszellen, warteten zehn Tage,
bis sich die Lungenmetastasen gebildet hatten und behandelten einen Teil der Mäuse mit dem
MVA-Impfstoff. Bei den geimpften Tieren wuchsen die Tumoren deutlich langsamer und die Anzahl
der Metastasen war geringer als bei den nicht geimpften Tieren. Eine vollständige Rückbildung
des Tumors gelang allerdings nicht.
Bei der prophylaktischen Impfung fiel der Effekt noch stärker aus: Hier wurden die Tiere
zunächst zweimal mit dem Virus geimpft (Tag 0 und 21) und erst zwölf Tage später die Krebszellen
appliziert. Die geimpften Tiere waren vollständig vor einer Tumorbildung geschützt – es waren
keine Metastasen nachweisbar.
"Die Befunde zeigen erstmalig, dass das HERV-K-Hüllprotein ein nützlicher Angriffspunkt für die Impfstoffentwicklung sein könnte und möglicherweise neue Optionen für die Behandlung verschiedener Tumorerkrankungen bietet", erläutert Schnierle.
Quelle: Paul-Ehrlich-Institut
Kraus B, Fischer K, Büchner SM, Wels W, Löwer R, Sliva K, Schnierle B. 2013. Vaccination
directed against the human endogenous retrovirus-K envelope protein inhibits tumor
growth in a murine model system. PLoS One 8: DOI:10.1371/journal.pone.0072756
November 2013
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