Beim Tumorlyse-Syndrom werden durch den raschen Zerfall von Krebszellen große Mengen
an Elektrolyten und Nukleinsäuren freigesetzt, was akute metabolische Störungen mit
fatalem Ausgang hervorrufen kann. Hiervon betroffen sind meist Patienten mit
großvolumigen, aggressiven hämatologischen Tumoren, wie akuter lymphatischer
Leukämie oder Non-Hodgkin-Lymphomen, wenn diese Patienten gut auf eine Chemotherapie
ansprechen. Infolge der raschen Zellzerstörung kommt es im Serum zu Hyperkaliämie
und Hyperphosphatämie sowie einer sekundären Hypokalzämie, was letztlich zu
Herzrhythmusstörungen und Krämpfen führen kann [2,5]. Darüber hinaus wird auch die
Nierenfunktion beeinträchtigt, wobei vor allem die Metabolisierung von Harnsäure
aus den Purinnukleinsäuren der Krebszellen eine wesentliche Rolle spielt. So kann
eine Hyperurikämie durch die Bildung von Uratkristallen nicht nur die Nierentubuli
okkludieren, sondern die renale Funktion auch noch durch weitere Prozesse wie
Inflammation, Vasokonstriktion und Ischämie beeinträchtigen. Letztlich kann es
hierdurch zu einem akuten Nierenversagen (AKI) kommen, das wesentlich zur Mortalität
beim TLS beiträgt [5].
Erhalt der Nierenfunktion oberstes Gebot
Bei Patienten mit Risiko für ein TLS werden daher prophylaktisch Maßnahmen eingeleitet,
um die Nierenfunktion aufrecht zu erhalten, sodass die rasche Exkretion der freigesetzten
Elektrolyte gewährleistet ist und kein akutes Nierenversagen (AKI) eintritt. Neben der
intravenösen Gabe von Flüssigkeit steht dabei die Senkung des Harnsäurespiegels im
Vordergrund [2,5]. Hierfür stehen neben einer rekombinanten Uratoxidase (Rasburicase)
mit Allopurinol5 und dem im April 2015 zugelassenen Febuxostat 120mg (Adenuric®) [7]
auch zwei Xanthinoxidase-Inhibitoren zur Verfügung. Rasburicase wandelt die Harnsäure
direkt in Allantoin um [5]. Xanthinoxidase-Inhibitoren hemmen hingegen die Umwandlung
von Xanthin in Harnsäure [5,7]. Rasburicase wird von Experten zur Prophylaxe bei hohem
TLS-Risiko empfohlen [5], während Allopurinol bei intermediärem und hohem Risiko
empfohlen wird [8].
Febuxostat 120mg senkt Harnsäure effektiver als Allopurinol
Dies spiegelt sich auch in der Indikationserweiterung von Febuxostat 120mg wider.
Sie umfasst die Vorbeugung und Behandlung einer Hyperurikämie bei erwachsenen
Patienten mit hämatologischen Malignomen mit einem mittleren bis hohen Risiko für
ein TLS, die sich einer Chemotherapie unterziehen [7]. Basis der Zulassung war eine
doppelblinde Phase-III-Studie, in der Febuxostat 120 mg bei diesen Risikogruppen
gegen Allopurinol geprüft wurde, wobei es bei vergleichbarer Verträglichkeit eine
signifikant stärkere Reduktion der Serumharnsäurekonzentration um 28% (514 vs. 708mgxh/dl; p<0,0001)
ermöglichte [4]. Im Gegensatz zu Allopurinol [9] kann Febuxostat 120mg zudem auch bei
leichter oder mittlerer Niereninsuffizienz ohne Dosisanpassung eingesetzt werden
und stellt somit auch bei TLS-Risikopatienten mit bereits eingeschränkter renaler
Funktion eine Alternative dar [4,7].
Herpes zoster bei Tumorpatienten häufig
So wichtig wie die prophylaktische Senkung der Serumharnsäure zur Verhinderung bzw.
Abmilderung eines TLS bei Risikopatienten ist, ist die Vermeidung einer folgenschweren
Intoxikation mit 5-Fluorouracil (5-FU) bei onkologischen Patienten, die einen Herpes
zoster entwickeln, durch die Beachtung der absoluten Kontraindikation [6]. Das Risiko
an Herpes zoster zu erkranken ist bei Tumorpatienten auf Grund des geschwächten
Immunsystems deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung. So zeigte eine
US-amerikanische Studie, dass Patienten mit hämatologischen Tumoren fast fünfmal
so oft, solche mit soliden Tumoren beinahe doppelt so häufig, an der Reaktivierung
des Varizella-Virus (VZV) erkranken [10]. Umso wichtiger ist es, bei Tumorpatienten
früh auf Krankheitszeichen wie Schmerzen und Hautpusteln, besonders wenn sich diese
nicht auf ein Dermatom begrenzen, zu achten, so dass umgehend eine systemische
Behandlung mit einem Virostatikum eingeleitet werden kann, das die Replikation
von VZV unterbindet.
Bei immunsupprimierten Patienten mit Herpes zoster muss entsprechend der Leitlinie11
so schnell und früh wie möglich nach Beginn der Hautsymptome eine antivirale Therapie
eingeleitet werden, da eine lebensbedrohliche Dissemination des Zoster möglich ist.
In der immunsupprimierten Patientengruppe gilt intravenöses Aciclovir als
Standardtherapie [11,12]. Darüber hinaus stehen bei immunsupprimierten Patienten
auch die oral anwendbaren Substanzen Famciclovir [13] und Valaciclovir [14] zur Verfügung
(Dosierung in der Fachinformation beachten). Durch eine effektive Therapie können
Hautveränderungen rascher abheilen, Zosterschmerzen gelindert und auch das Risiko
für organische Komplikationen (z.B. Erblindung) und neuronale Folgeschäden wie
Lähmungen oder chronische Schmerzen (postherpetische Neuralgien, PHN) kann gesenkt
werden [11].
Brivudin nicht bei Krebspatienten unter Chemotherapie einsetzen
Brivudin ist ausschließlich zur frühzeitigen Behandlung des akuten Herpes zoster bei
immunkompetenten Erwachsenen zugelassen [6]. Die Anwendung von Brivudin bei
Patienten unter einer Krebs-Chemotherapie ist absolut kontraindiziert, insbesondere,
wenn die Behandlung mit 5-Fluorouracil (5-FU), einschließlich topisch
anzuwendender 5-FU-Zubereitungen, seinen Prodrugs (z.B. Capecitabin,
Floxuridin, Tegafur) sowie Kombinationsarzneimitteln mit diesen Wirkstoffen
oder anderen 5-Fluoropyrimidin-haltigen Medikamenten (z.B. Flucytosin) erfolgt.
Diese Wechselwirkung kann tödlich sein. Ursache der Kontraindikation ist, dass
das Bromvinyuracil (BVU) – Hauptmetabolit des Brivudins – das Enzym
Dihydropyrimidindehydrogenase (DPD) irreversibel hemmt [6]. Normalerweise reguliert
DPD den Metabolismus sowohl von natürlichen Nukleosiden (z.B. Thymidin) als
auch den Abbau von Pyrimidin-basierten Arzneimitteln wie 5-Fluorouracil in den
weniger toxischen Metaboliten Dihydrofluorouracil [15]. Bei der gleichzeitigen
bzw. zeitnahen Gabe von Brivudin mit 5-Fluoropyrimidin-haltigen Arzneimittel
akkumuliert 5-FU somit im Plasma bis hin zur Intoxikation. Häufigste Symptome
sind Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö und in schweren Fällen Stomatitis, Mukositis,
toxische epidermale Nekrolyse, Neutropenie und Knochenmarksdepression [3,6]. Daher
muss zwischen einer Behandlung mit Brivudin und dem Beginn einer Therapie mit
5-Fluoropyrimidin-haltigen Arzneimitteln ein zeitlicher Abstand von mindestens
4 Wochen eingehalten werden [6].
Rasches Eingreifen erforderlich
Ein sofortiges Handeln ist notwendig, wenn Brivudin und ein 5-Fluoropyrimidin-haltiges
Präparat gleichzeitig oder ohne ausreichenden zeitlichen Abstand angewendet worden sind.
In diesem Fall müssen beide Arzneimittel sofort abgesetzt werden. Maßnahmen zur
Reduzierung der 5-FU-Toxizität sollten unverzüglich ergriffen werden. Die Patienten
sollten stationär aufgenommen und unterstützende Maßnahmen zur Verhütung von
systemischen Infektionen und Dehydratation eingeleitet werden. Zusätzlich kann
die Gabe von Uridin der 5-FU-Toxizität entgegenwirken, da die 5-FU-Toxizität durch
Enzyme vermittelt wird, für die Uridin ein endogenes Substrat dargestellt [3].
Quellen:
Adenuric® ist eine eingetragene Handelsmarke von Tejin Limited, Tokio, Japan.
[1] Vichaya, et al. 2015. Front Neurosci 21;9:131
[2] Howard, et al. 2011. N Engl J Med 364:1844-1854; DOI: 10.1056/NEJMra0904569
[3] Rote Hand Brief von Berlin Chemie/Menarini vom 27.08 2012
[4] Spina M, et al. 2015, under publication, accepted by Annals of Oncology, first published online July 27, 2015 doi:10.1093/annonc/mdv317
[5] Wilson, Berns. Adv Chronic Kidney Dis. 2014; 21(1): 18–26. doi:10.1053/j.ackd.2013.07.001.
[6] Fachinformation Zostex®
[7] Fachinformation Adenuric®
[8] Wilson, Berns. 2012. Clin J Am Soc Nephrol 7:1730-1739.
[9] Hande, et al. 1984. Am J Med. 76(1):47-56.
[10] Habel LA, et al. Cancer Epidemiol Biomarkers Prev 2013; 22(1) 82-90
[11] Gross G, et al. 2002. Chemotherapie Journal 5:165-173
[12] Fachinformation Acic® 250mg / 500 mg zur Herstellung einer Infusionslösung, Stand November 2013
[13] Fachinformation Famvir®, Stand März 2015
[14] Fachinformation Valaciclovir AL 1000 mg, Stand Juni 2014
[15] Nordgard SH, et al. 2008. Int J Cancer 123:577-585.
Quelle: Berlin Chemie
März 2016 |
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