Beim Prostatakarzinom habe es im Erkrankungsstadium mHSPC laut Professor Dr. Christian Gratzke,
Ärztlicher Direktor der Klinik für Urologie an der Uniklinik Freiburg, bislang noch einen medizinischen
Bedarf für Behandlungsalternativen gegeben. Diese therapeutische Lücke lasse sich mit Apalutamid (Erleada®)
schließen, erklärte der Experte. Der moderne Androgenrezeptorinhibitor von Janssen Pharmaceutical Companies
of Johnson & Johnson hat die entsprechende Indikationserweiterung Ende Januar erhalten und kann – unter
Berücksichtigung von Kontraindikationen und Warnhinweisen – seither in Kombination mit einer
Androgendeprivationstherapie (ADT) bei allen mHSPC-Patienten zum Einsatz kommen [1,2].
Medizinischer Bedarf beim mHSPC
Das mHSPC liegt vor, wenn Männer mit einem Prostatakarzinom mindestens eine Fernmetastase in der
Bildgebung haben und ihre Erkrankung auf die ADT noch anspricht [3]. Dies kann gemäß Gratzke zutreffen
bei Patienten, deren Tumor im metastasierten Stadium neu diagnostiziert wird, ober bei Patienten,
deren Tumor in einem früheren Stadium erkannt und ggf. auch bereits behandelt wurde, im weiteren
Krankheitsverlauf jedoch metastasiert. Letztere haben dann entweder noch keine ADT erhalten oder
sie sind mit einer ADT vorbehandelt, der Tumor hat jedoch noch keine Resistenz gegenüber der
Behandlung entwickelt und ist daher weiterhin „hormonsensitiv“.
Nachdem das mHSPC jahrzehntelang meist mit einer ADT behandelt wurde, gab es 2015/2016 basierend
auf den Studien CHAARTED und STAMPEDE einen Paradigmenwechsel hin zum Einsatz einer kombinierten
Chemohormontherapie, bestehend aus Docetaxel und einer ADT, die seit 2019 für diese Indikation
auch zugelassen ist [4-6]. Denn in beiden Studien verlängerte Docetaxel/ADT gegenüber alleiniger
ADT das Gesamtüberleben signifikant. Das mediane Überleben lag bei 57,6 vs. 44,0 Monaten;
Hazard Ratio [HR] 0,61; p<0,001 (CHAARTED) bzw. 59,1 vs. 43,1 Monaten; HR 0,81; p=0,009 (STAMPEDE) [4,7].
Wie Gratzke hervorhob, gab es jedoch in beiden Studien in den Kombinationsarmen zugleich
eine erhöhte Rate an zum Teil schwerwiegenden Nebenwirkungen wie Neuropathien oder
höhergradige febrile Neutropenien, die für Docetaxel anscheinend typisch sind [4,5].
„Uns Ärzten und auch unseren Patienten ist es natürlich lieber, wenn eine Therapie eher
gut verträglich ist. Auch eine nicht invasive, orale Therapie kann praktikabler als die
hier notwendigen Infusionen sein. Zudem haben viele Patienten generell große Vorbehalte
gegenüber einer Chemotherapie“, betonte Gratzke.
Seit 2017 kann darüber hinaus Abirateron plus Prednison/Prednisolon (Abirateron/P) in Kombination
mit einer ADT beim mHSPC zum Einsatz kommen - dies beschränkt sich allerdings auf Patienten, bei
denen das mHSPC neu diagnostiziert ist und ein hohes Risiko besteht, definiert als das Vorliegen
von zwei der drei folgenden Risikofaktoren: Gleason-Score mindestens 8, mindestens 3 Knochenmetastasen,
mindestens 1 Viszeralmetastase(n) [8,9]. Abirateron/P sei als antihormonell wirkende, orale Therapie
in der Zulassungsstudie LATITUDE in Kombination mit einer ADT gegenüber alleiniger ADT gut wirksam
und gut verträglich gewesen, so Gratzke. Auch hier konnte das Gesamtüberleben signifikant verlängert
werden (53,3 vs. 36,5 Monate; HR 0,66; p<0,0001) [10]. Doch eine Behandlung, bei der für den
labelkonformen Einsatz keine vorherige Stratifizierung nach Vorbehandlung oder Risiko erforderlich
sei, ließe sich natürlich deutlich unkomplizierter und schneller beginnen, schränkte er ein.
Als weitere Limitierung von Docetaxel bzw. Abirateron/P plus einer ADT im mHSPC nannte Gratzke
deren ebenfalls bestehende Zulassung für die Therapie des metastasierten kastrationsresistenten
Prostatakarzinoms (mCRPC), das sich bei Versagen der mHSPC-Therapie entwickelt [6,8]. Bei
unmittelbarer Vorbehandlung mit Docetaxel bzw. Abirateron/P würde bei einer Therapieumstellung
im mCRPC nicht mehr das gesamte Spektrum an Therapieoptionen zur Verfügung stehen, begründete er.
Apalutamid beim mHSPC
Mit Apalutamid sei nun eine orale, antihormonell wirkende Alternative für mHSPC-Patienten verfügbar,
die in der Zulassungsstudie TITAN in Kombination mit einer ADT gegenüber alleiniger ADT eine gute
Wirksamkeit und Verträglichkeit erzielt habe und ohne vorherige Stratifizierung nach Vorbehandlung
oder Risiko zum Einsatz kommen könne, so Professor Dr. Andres Jan Schrader, Direktor der Klinik für
Urologie am Universitätsklinikum Münster [2,11].
Signifikante OS-Verlängerung unter Apalutamid/ADT vs. ADT
Apalutamid plus ADT verlängerte in der prospektiven, doppelblinden Phase-III-Studie TITAN, an der
ein breites Spektrum an mHSPC-Patienten teilnehmen konnte, im Vergleich zu Placebo plus ADT das
Gesamtüberleben (OS, dual-primärer Endpunkt) signifikant: Das Risiko zu versterben wurde um 33%
reduziert (Median in beiden Armen noch nicht erreicht [NR]; HR 0,67; 95% Konfidenzintervall
[95% KI] 0,51-0,89; p=0,005) [11]. Die Zweijahres-Überlebensrate betrug nach einem medianen
Follow-up von 22,7 Monaten im Verumarm 82,4%, im Placebo-Arm hingegen 73,5% [11]. „Demnach
war nach knapp zwei Jahren unter alleiniger ADT mehr als ein Viertel der Patienten verstorben.
Dies zeigt erneut, dass eine alleinige ADT beim mHSPC nicht ausreicht“, hob Schrader hervor.
Signifikante rPFS-Verlängerung unter Apalutamid/ADT vs. ADT
Beim zweiten dual-primären Endpunkt, dem radiographisch progressionsfreien Überleben (rPFS), ergab
sich ebenfalls ein signifikanter Vorteil von Apalutamid plus ADT gegenüber Placebo plus ADT: Das
Risiko, einen radiographischen Progress zu erleiden oder zu versterben, war um 52% reduziert
(Median NR vs. 22,1 Monate; HR 0,48; 95% KI 0,39–0,60; p<0,001) [11].
Signifikante Überlegenheit bei weiteren Endpunkten
Auch beim sekundären Endpunkt Zeit bis zum Beginn der Chemotherapie erzielte Apalutamid im Vergleich
zu Placebo (je plus ADT) ein signifikant besseres Ergebnis (Median NE vs. NE; HR 0,39; 95% KI 0,27-0,56;
p<0,001) [11]. Da die Auswertung hierarchisch erfolgte und der Unterschied zwischen
beiden Armen beim nächsten Endpunkt, der Zeit bis zur Schmerzprogression, zum Zeitpunkt der
zulassungsrelevanten Interimsanalyse noch nicht signifikant war (Median NE vs. NE; HR 0,83; 95% KI 0,65-1,05; p=0,12),
wurden die übrigen sekundären Endpunkte bislang noch nicht ausgewertet [11]. Bei dem explorativen
Endpunkt Zeit bis zum Progress des Werts des prostataspezifischen Antigens (PSA) ergab sich
ebenfalls eine Überlegenheit im Verumarm (Median NR vs. 12,9 Monate; HR 0,26; 95% KI 0,21-0,32;
p<0,0001) [11,12].
Günstiges Verträglichkeitsprofil
Apalutamid zeigte ein günstiges Verträglichkeitsprofil: Die Nebenwirkungen in TITAN waren meist
mild (Grad 1 und 2) und unterschieden sich in den beiden Studiengruppen nicht wesentlich [11].
Grad-3/4-Nebenwirkungen ließen sich in beiden Armen nahezu gleich häufig beobachten (42,2% vs. 40,8%) [11].
Die häufigsten Nebenwirkungen vom Schweregrad 3 oder darüber, die unter Apalutamid/ADT öfter
auftraten als unter Placebo/ADT waren Hautausschläge (6,3% vs. 0,6%) [11]. Diese seien aber
in der Regel gut behandelbar gewesen und hätten sich meist wieder zurückgebildet, erklärte
Schrader [2]. Die Rate an Therapieabbrüchen aufgrund von Nebenwirkungen lag im Apalutamid-Arm
bei 8,0% und im Placebo-Arm bei 5,3% (je plus ADT) [11].
AR-Aberrationen und Zeit bis zum Progress in der Folgetherapie
Als eine Besonderheit der TITAN-Studie nannte Schrader ergänzend erfolgte Biomarker-Analysen sowie
die Berücksichtigung des relativ neuen Studienendpunkts progressionsfreies Überleben über zwei
Therapielinien (PFS2, explorativer Endpunkt). Denn unter der antihormonellen Therapie des
Prostatakarzinoms können Resistenzen auftreten, die deren Wirksamkeit sowie ggf. auch die Wirksamkeit
der Folgetherapie beeinflussen. In der Biomarker-Analyse wurden daher typische Veränderungen am
Androgenrezeptor (AR) erfasst, die zu einer Resistenzentwicklung führen können [13]. Und mit dem
PFS2 gibt es einen Parameter, in den die Wirksamkeit der ersten Folgetherapie im mCRPC einfließt [11].
Wie die Biomarker-Analyse ergab, traten unter Apalutamid plus ADT signifikant weniger Veränderungen
des AR auf als unter Placebo plus ADT [13]. Zu Studienbeginn zeigte sich noch kein Unterschied beim
Anteil der Patienten mit entsprechenden AR-Aberrationen (20% vs. 23%; Biomarker-Population n=265) [13].
Am Ende der Studienbehandlung war zwar der Anteil der Patienten mit AR-Veränderungen in beiden
Studienarmen gestiegen, dennoch hatten im Apalutamid/ADT-Arm signifikant weniger Patienten
AR-Aberrationen als im Placebo/ADT-Arm (48% vs. 67%; p=0,041) [13].
„Die in der Biomarker-Analyse gezeigte geringere Rate von Veränderungen am Androgenrezeptor unter
der mHSPC-Therapie kann möglicherweise dazu beigetragen haben, dass der Vorteil der Verumgruppe
auch unter der Folgetherapie, d.h. beim explorativen Endpunkt PFS2, erhalten blieb“, hob Schrader
hervor. Denn bei Einsatz von Apalutamid/ADT vs. Placebo/ADT im mHSPC war die Zeit von Randomisierung
und Progress oder Tod unter der nachfolgenden Erstlinientherapie des mCRPC signifikant länger
(Median NR vs. NR; HR 0,66; 95% KI 0,50-0,87; p=0,0026) [11,12].
Jeweils ca. ein Drittel bis ein Viertel der Studienteilnehmer erhielten eine Chemotherapie mit
Docetaxel bzw. eine antihormonelle Therapie mit Abirateron/P als erste Folgetherapie [12]. In
einer aktuellen Post-hoc-Analyse der TITAN-Studie wurde der signifikante PFS2-Vorteil bei Einsatz
von Apalutamid/ADT im mHSPC sowohl in der Gruppe mit einer lebensverlängernden Hormontherapie
(HR 0,684; 95% KI 0,482-0,971; p=0,0326) als auch in der Gruppe mit einer Chemotherapie
(HR 0,634; 95% KI 0,456-0,881; p=0,0062) als erster Folgetherapie gezeigt [14].
„Das ist natürlich ein guter Hinweis für uns Behandler, weil wir beim Prostatakarzinom nicht nur
eine Therapie, sondern die gesamte Sequenz betrachten müssen“, betonte Schrader. Wie er ergänzte,
hält der Einsatz von Apalutamid/ADT im mHSPC zudem grundsätzlich das gesamte Spektrum an möglichen
mCRPC-Folgetherapien offen, weil Apalutamid/ADT – anders als Docetaxel und Abirateron/P – nicht
für die Therapie des mCRPC zugelassen ist [2,6,8].
Fazit für die Praxis
Apalutamid sei eine orale, gut wirksame und gut verträgliche Therapie, die keine zusätzlichen
Laboruntersuchungen erfordere, so das Fazit von Schrader. Der moderne Androgenrezeptor-Inhibitor
könne ohne vorherige Stratifizierung, beispielsweise nach Vorbehandlung und Risiko, zum Einsatz
kommen und schränke das Spektrum an Folgetherapien im mCRPC nicht ein. Daher sei Apalutamid plus
ADT eine viel versprechende Alternative zu den bereits verfügbaren Therapieoptionen beim mHSPC,
fasste Schrader zusammen.
Quelle: Pressegespräch „ERLEADA®: Neue, gut wirksame und gut verträgliche Therapieoption für ein breites
Spektrum von mHSPC-Patienten“ anlässlich der Indikationserweiterung von ERLEADA®, 27.02.2020,
Neuss. Veranstalter: Janssen-Cilag GmbH.
Referenzen:
[1] Presseinformation Janssen. Janssen Announces European Commission Approval for Expanded
Use of Erleada® (apalutamide) for Treatment of Patients with Metastatic Hormone-Sensitive Prostate
Cancer. 29.01.2020. Abrufbar unter:
https://www.businesswire.com/news/home/20200129005336/en/ . Letzter Zugriff: 29.01.2020.
[2] Fachinformation Erleada®, Stand Januar 2020.
[3] Scher HI, et al. Prevalence of Prostate Cancer Clinical States and Mortality in the
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[5] James ND, et al. Addition of docetaxel, zoledronic acid, or both to first-line long-term
hormone therapy in prostate cancer (STAMPEDE): survival results from an adaptive, multiarm, multistage,
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[6] Fachinformation Taxotere®, Stand November 2019.
[7] Clarke NW, et al. Addition of docetaxel to hormonal therapy in low- and high-burden
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Abrufbar unter:
https://ascopubs.org/doi/abs/10.1200/JCO.2019.37.15_suppl.5006 . Letzter Zugriff: 17.02.2020.
[13] Chi KN, et al. Androgen Receptor Aberrations in Patients With Metastatic
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https://academic.oup.com/annonc/article/30/Supplement_5/mdz248.040/5578271 . Letzter Zugriff: 13.01.2020.
[14] Agarwal N, et al. Time to second progression (PFS2) in patients (pts) from
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