„Obwohl die Ausbreitung resistenter Keime eine große Gefahr birgt, können neue Wirkstoffe
nicht mehr schnell genug entwickelt werden – die Zahl der jährlich neu auf den Markt
kommenden Antibiotika sinkt ständig“, so Michalsen. 2050 könnten Antibiotikaresistenzen
laut WHO die häufigste Todesursache weltweit sein [20]. Selbst gegen die als
Reserveantibiotika geltenden Carbapeneme treten laut Michalsen immer häufiger
Resistenzen auf – vor allem bei ESBL-Bildnern wie K. pneumoniae und E. coli, aber
auch bei gramnegativen Bakterien wie P. aeruginosa. Zur Entschärfung der
Resistenzproblematik ist es wichtig, dass Antibiotika nur dann eingesetzt werden,
wenn sie wirklich medizinisch erforderlich sind. Für banale Infektionen stehen
heute zahlreiche evidenzbasierte pflanzliche Therapieoptionen zur Verfügung.
So können zum Beispiel bei akuten unkomplizierten Harn- und Atemwegsinfektionen
die vielfach untersuchten ITC aus Kapuzinerkresse und Meerrettich
(in ANGOCIN® Anti-Infekt N) zum Einsatz kommen. Vor dem Hintergrund der
bedrohlichen Resistenzentwicklung ist besonders interessant, dass aufgrund
des multimodalen Wirkmechanismus dieser Pflanzenstoffe bei Bakterien die
Entwicklung möglicher Resistenzmechanismen gegen die ITC deutlich erschwert
wird [1,3].
„Pflanzliche Isothiocyanate stellen aufgrund ihrer antimikrobiellen Eigenschaften,
die neben den klassischen, z.B. bakteriziden Wirkungen auf so-genannte Isolate,
auch die für die in-vivo Schädlichkeit von Erregern äußerst wichtige Fähigkeit der
Ausbildung von Biofilmen behindern können, eine vielversprechende natürliche Substanzgruppe
zur Therapie von Atemwegsinfektionen dar“, erklärte Dr. Rainer Stange, Berlin. Für
Patienten mit rezidivierenden Atemwegsinfektionen böten sich auch prophylaktische
Strategien an, für die sich mehrere naturheilkundliche Methoden kombinieren lassen.
Speziell für die Phytotherapie kämen neben den ITC z.B. klassische abwehrverbessernde
Pflanzen wie Echinacea purpurea infrage oder auch pflanzliche Stoffgruppen wie Myrtole.
„Wir müssen neue Wege einer rationalen Medizin gehen, die eine Unter-scheidung erlaubt,
wann tatsächlich eine Probe ins Labor geschickt wird und an welchen Punkten wir eine
Antibiotika-Therapie gar nicht mehr als First-Line-Therapie in Erwägung ziehen“,
forderte die Gynäkologin Dr. Dorothee Struck, Kiel. Die unkomplizierte Harnwegsinfektion
der Frau gehöre für sie dazu, es gebe gute und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit
umfangreich belegte Alternativen aus dem Bereich der Phytotherapie. „Es wird höchste
Zeit, das Therapieregime grundlegend zu überdenken und zu ändern“, ergänzte der
Urologe Dr. Wolfgang Bühmann, Sylt OT Morsum. Bereits vor Erscheinen der
S3-Leitlinie hätten Ärzte begonnen, akute unkomplizierte Infektionen der
Harnwege symptomatisch und phytotherapeutisch erfolgreich zu behandeln.
Die neue S3-Leitlinie unterstütze diesen Ansatz endlich auch „offiziell“
und ermutige, den Einsatz von Antibiotika als „Erstlinienbehandlung“ zunehmend
gezielt zu überdenken. Antibakterielle Aktivität, antiinflammatorische Wirkung,
fehlende Resistenzentwicklung und Einsatzmöglichkeit auch bei durch Katheterisierung
bestehender Biofilmbesiedlung sowie die geringe Nebenwirkungsrate bilden laut
Bühmann eine stabile Rationale für den Einsatz von evidenzbasierten
Phytotherapeutika wie die ITC aus Kapuzinerkresse und Meerrettich in der
Therapie von akuten unkomplizierten Harnwegsinfektionen. Der Einsatz der
pflanzlichen Wirkstoffe wird in der entsprechenden S3-Leitlinie als
Behandlungsoption bei häufig wiederkehrenden Blasenentzündungen empfohlen [21].
„Es ist sehr wichtig, den Patienten in die Entscheidungsfindung für
oder gegen ein Antibiotikum miteinzubeziehen“, führte Prof. Dr. Attila Altiner, Rostock,
aus. Eine gelungene Arzt-Patienten-Kommunikation beinhalte daher eine Exploration
der tatsächlichen Patientenerwartungen. Patientenzentrierte Kommunikation gehe
dabei auch entgegen einiger Vorurteile nicht mit einem höheren Zeitaufwand
einher, fördere aber die Adhärenz.
„Viele Apothekenkunden sind der Meinung, dass Antibiotika schneller und stärker wirken als pflanzliche Alternativen“, berichtete die Apothekerin Juliane von Meding, Gräfelfing. Hier gelte es Kunden von der Effektivität phytotherapeutischer Maßnahmen zu überzeugen. „Wir empfehlen bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen bevorzugt Phytopharmaka mit breiter antibakterieller Wirkung. Denn bei einer rein symptomatischen Therapie wie z.B. mit Ibuprofen oder lediglich durchspülenden Arzneipflanzen ohne antibakterielle Wirkung besteht das Risiko, eine Nierenbeckenentzündung zu entwickeln, weil die krankheitsauslösenden Erreger nicht eliminiert werden und aufsteigen können“, so von Meding. Zudem sei es häufig erforderlich, Apothekenkunden den Unterschied zu den oft wenig wirksamen, niedriger dosierten Nahrungsergänzungsmitteln deutlich zu machen. „Darüber hinaus weisen wir darauf hin, dass Antibiotika zu Nebenwirkungen und Resistenzen führen können und im Gegensatz zu mancher Pflanzenarznei bei Biofilmen nicht wirksam sind“, resümiert die Apothekerin.
Quelle: Symposium anlässlich des 12. Europäischen Antibiotikatags am 23. November 2019 in Berlin Literatur:
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[21] S3-Leitlinie unkomplizierte Harnwegsinfektion – Update 2017 [Interdisziplinäre S3 Leitlinie „Epidemiologie,
Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen
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25. November 2019 |
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