Hilfe finden betroffene Männer und Frauen in Form moderner Behandlungsmaßnahmen,
die zugleich schonend und effektiv sind. Wurde noch vor wenigen Jahren aufwändig
operiert, bei Frauen etwa der Blasenhals im Zuge einer belastenden
Schnittoperation verlagert, eine sogenannte Nadelsuspension vorgenommen
oder eine Pubovaginalschlinge aus körpereigenem Gewebe gesetzt, reicht
heute meist ein minimalinvasiver Eingriff aus. Die theoretischen Grundlagen
dieser Therapie wurden bereits vor 25 Jahren in der sogenannten Integraltheorie
nach Petros beschrieben – der Wiederherstellung der Blasenfunktion durch die
Rekonstruktion des lockeren Halteapparates. Bewährt hat sich unter anderem
der Einsatz suburethraler Bänder, etwa aus Polypropylen. Der Beckenboden
ist dabei mit einem Trampolin vergleichbar: Nur wenn eine ausreichende
Spannung vorhanden ist, kann er richtig funktionieren.
„Die synthetischen Bänder, die mit Hilfe eines kleinen Schnittes beziehungsweise
Einstichs in den Beckenboden eingesetzt werden, ersetzen die erschlafften Halte-
und Stützbänder des Beckenbodens und stellen so die verloren gegangene Elastizität
und Spannkraft wieder her“, erklärt Dr. Alfons Gunnemann, der auf dem 69. Kongress
der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V. (DGU) in Dresden zu diesem
Thema referieren und das Inkontinenz-Forum begleiten wird. „Nicht nur, dass
der Eingriff für Patientinnen und Patienten deutlich schonender ist. Ein
Vorteil ist auch die gute Haltbarkeit der Bänder. Richtig eingesetzt, können
sie viele Jahre im Körper ihre stützende und straffende Funktion behalten.
Außerdem sind sie gut verträglich.“ Allerdings ist zu beachten, dass mögliche
postoperative Materialveränderungen, Gewebereaktionen, die eingesetzte
Implantationstechnik sowie patienteneigene Risikofaktoren die Ergebnisse
beeinflussen können.
Neben dem Einbringen suburethraler Bänder kann den Betroffenen auch ein
künstlicher Blasenschließmuskel helfen. Dieser kommt hauptsächlich bei
Männern zum Einsatz. Hierbei kann der Mann mit Hilfe einer in den Hodensack
eingebrachten Pumpe eine um die Harnröhre gelegte Manschette öffnen und
schließen und so den Harnabfluss kontrollieren. „Der künstliche Schließmuskel
ist eine sehr effektive Maßnahme und macht jeden Inkontinenten wieder trocken.
Er ist vor allem für Männer interessant, die am Tag mehr als 500 Milliliter
Urin verlieren“, erklärt Dr. Alfons Gunnemann. „Allerdings muss aufgrund
der Komplexität dieser Maßnahme auch mit Komplikationen gerechnet werden.
Kommt der Patient mit der Handhabung aber gut zurecht, funktioniert das
Zusammenspiel von Manschette und Pumpe, und akzeptiert der Körper den
künstlichen Schließmuskel, kann dieser durchaus lebenslang im Einsatz
bleiben. Regelmäßige Kontrollen sind allerdings Pflicht. Das gilt auch
für die suburethralen Bänder.“
Und die Forschungen gehen weiter: Feinere, elektronisch kontrollierte
Behandlungsmethoden werden ebenso erprobt wie die Verträglichkeit und
Belastbarkeit neuer Materialien. „Harninkontinenz betrifft viele
Patienten und Patientinnen und ist ein wichtiges Thema, dem Aufmerksamkeit
geschenkt werden muss“, sagt DGU- und Kongresspräsident Prof. Dr. Tilman Kälble,
„Denn die Betroffenen haben nur einen Wunsch: wieder ein unbeschwertes
Leben zu führen. Dabei können wir Urologen ihnen helfen. Eines der Ziele
des 69. Kongresses der DGU ist daher, den Blick für diesen bedeutenden
Themenbereich zu schärfen. Raum für Diskussionen bieten unter anderem
die Forumssitzungen, die von Donnerstag, den 21.09.2017 bis Samstag,
den 23.09.2017 stattfinden.“
Doch nicht nur die Behandlung der Inkontinenz steht im Fokus. Thematisiert werden auch die Möglichkeiten, dem ungewollten Harnabgang vorzubeugen. Neben gezieltem Beckenbodentraining und der Vermeidung von Übergewicht spielen dabei Maßnahmen wie die Elektrostimulation und die Betrachtung des Hormonstatus eine tragende Rolle. „Der Beckenboden gehört zu den vernachlässigten Organen. Ihm sollte deutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden“, appelliert Dr. Alfons Gunnemann. „In der Medizin gibt es zwar kein Allheilmittel, aber sehr gute Behandlungsmöglichkeiten. Um jedem Patienten und jeder Patientin die passende Therapie zu ermöglichen, kommt es daher auf einen fachübergreifenden Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Urologen, Gynäkologen und Coloproktochirurgen an.“
Mai 2017 |
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