BAYER hat am 15. April 2016 bekanntgegeben, das Krebsmedikament Regorafenib (Stivarga®)
vom deutschen Markt zu nehmen. Regorafenib war von der European Medicines Agency (EMA)
sowohl zur Behandlung von Patienten mit metastasiertem Dickdarmkrebs nach Versagen
anderer Medikamente als auch zur Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem
Gastrointestinalem Stromatumor (GIST), ebenfalls nach Versagen anderer Arzneimittel,
zugelassen. Als Begründung gibt BAYER die Festlegung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA)
vom 17. März 2016 an, nach der der Zusatznutzen von Regorafenib für Patienten mit
metastasiertem Dickdarmkrebs gegenüber bestmöglicher supportiver Behandlung nicht
belegt ist. Damit hat der G-BA seine Vorentscheidung vom 20. März 2014 revidiert,
in der ein geringer Zusatznutzen festgelegt worden war. Aus Sicht von BAYER besteht
aufgrund dieser Ausgangslage keine Möglichkeit, in den Verhandlungen mit den
Krankenkassen einen wirtschaftlich akzeptablen Preis zu erzielen.
Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO), die
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) sowie die Deutsche Gesellschaft für
Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) hatten sich im
aktuellen Verfahren für die Festlegung eines Zusatznutzens ausgesprochen. Die Daten
des aktuellen Dossiers entsprachen im Wesentlichen dem ersten Verfahren. Eine kleine
zusätzliche Kohorte aus einer randomisierten Studie und Daten aus einem Register mit
fast 3.000 Patienten bestätigten die Ergebnisse der Zulassungsstudie. Das Institut
für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hatte in seinem
Bericht zum Dossier des pharmazeutischen Unternehmers ebenfalls die Festlegung
eines geringen Zusatznutzens vorgeschlagen. Bei Patienten mit Gastrointestinalem
Stromatumor führt Regorafenib zu einer statistisch hoch signifikanten Verlängerung
der Zeit bis zum erneuten Krankheitsprogress.
Regorafenib ist nach Sipuleucel-T (Provenge®) und Bosutinib (Bosulif®) das dritte
Krebsmedikament, das im Zusammenhang mit der frühen Nutzenbewertung vom deutschen
Markt genommen wurde. Bosutinib wurde nach erneuten Verhandlungen zwischen den
Krankenkassen und dem pharmazeutischen Unternehmer später wieder auf den Markt
gebracht.
Die aktuelle Lage ist für Patienten und für die behandelnden Ärzte sehr belastend.
Durch die kurzfristige Entscheidung von BAYER bestand keine Reaktionsmöglichkeit.
Damit muss Regorafenib (Stivarga®) zur Fortsetzung einer bereits begonnenen
Therapie oder zur Einleitung einer neuen Behandlung jetzt aus dem Ausland importiert
werden. Patienten werden durch solche, nicht medizinisch begründeten Entscheidungen
verunsichert. Obwohl sich die Entscheidung von BAYER auf die Festlegung zum
Zusatznutzen bei Patienten mit Dickdarmkrebs bezieht, sind auch die Patienten
mit GIST betroffen.
Die DGHO hat das AMNOG-Verfahren der frühen Nutzenbewertung als Grundlage von
Preisverhandlungen zwischen pharmazeutischen Unternehmern und Krankenkassen seit
2011 aktiv unterstützt. Es ermöglicht, die Preise von Krebsmedikamenten in
Deutschland auf einer wissenschaftlichen Grundlage festzulegen. Trotz Verfahrenskritik
der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften z.B. an der Definition
von Subgruppen, an der Festlegung der zweckmäßigen Vergleichstherapie oder der
initial unterbewerteten Bedeutung von Lebensqualität liegt die Mehrzahl der
Entscheidungen zu Krebsmedikamenten im Einklang mit Therapieempfehlungen und
Leitlinien der Fachgesellschaften. Das Verfahren schafft somit die Basis für
den Zugang der Krebspatienten zu neuen, wirksamen Arzneimitteln.
Eine einseitige Schuldzuweisung ist in der jetzigen Situation nicht angebracht.
Die DGHO hatte in der Vergangenheit bereits kritisiert, dass BAYER im Verfahren
zu Regorafenib bei GIST-Patienten kein Dossier für die Nutzenbewertung eingereicht
hatte und damit nicht die erforderliche Transparenz bezüglich der zugrundeliegenden
Studiendaten ermöglicht hatte. Bei der G-BA-Entscheidung ist nicht nachvollziehbar,
warum bei gleichen oder sogar etwas besseren Daten als in der Erstbewertung jetzt
eine ungünstigere Festlegung zu Regorafenib erfolgte, und zwar sowohl entgegen
dem Vorschlag des IQWiG als auch entgegen den Stellungnahmen der maßgeblichen
internistischen Fachgesellschaften. Den Krankenkassen könnte eine härtere
Verhandlungstaktik zur stärkeren Reduktion der Ausgaben für neue Arzneimittel
unterstellt werden. Auch hier sind allerdings Transparenz und Fairness anzumahnen.
Die DGHO fordert alle Beteiligten auf, das Vertrauen der Krebspatienten und der
behandelnden Ärzte in die Verlässlichkeit der Versorgung mit neuen Arzneimitteln
in Deutschland nicht durch inhaltlich nicht nachvollziehbare Entscheidungen,
kurzfristige Marktrücknahmen oder überzogene Forderungen zu gefährden. Die
beteiligten Parteien fordern zu einer sofortigen Wiederaufnahme der Gespräche auf.
DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie
Die DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. besteht
seit über 75 Jahren und hat heute mehr als 3.000 Mitglieder, die in der Erforschung
und Behandlung hämatologischer und onkologischer Erkrankungen tätig sind. Mit der
Ausarbeitung von Aus-, Fort- und Weiterbildungscurricula, der Erstellung von
Behandlungsleitlinien und Behandlungsempfehlungen sowie mit der Durchführung von
Fachtagungen und Fortbildungsseminaren fördert die Fachgesellschaft die hochwertige
Versorgung von Patientinnen und Patienten mit hämatologischen und onkologischen
Erkrankungen.
April 2016 |
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