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Medizinrecht
Patientenrechte: Materielle Aufklärungsaspekte (III) – Eingriffsaufklärung
Das Zentrum der Selbstbestimmungsaufklärung bildet die sog. Risikoaufklärung, d.h. die Information des Patienten über die
Risiken des geplanten medizinischen Eingriffs. Sie steht im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen, mit denen die Reihe
zu materiellen Aufklärungsaspekten endet.
3. Risikoaufklärung
Nachdem es im vorherigen Beitrag um die sog. Eingriffsaufklärung ging, steht noch die die juristische Aufklärung über die
sog. Risikoaufklärung aus, die gerne als Zentrum bzw. Kern der Selbstbestimmungsaufklärung bezeichnet wird.
§ 630e Abs. 1 Satz 2 BGB spricht insofern davon, dass „zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme“ zu erläutern
sind. Einmal mehr bestimmen sich dabei Umfang und Intensität der Aufklärung nach der jeweiligen Behandlungssituation
[Bundestags-Drucksache 17/10488 S. 24]. Schließlich hat die Aufklärung patientenbezogen und damit den Umständen
des konkreten Einzelfalls entsprechend zu erfolgen [BGH, Urt. vom 18. November 2008 – Az.: VI ZR 198/07].
Ungeachtet dieses variablen bzw. flexiblen Ausgangspunkts gibt es gleichwohl in jedem Fall zu beachtende
Ausgangsprämissen, an denen sich Umfang und Intensität der Risikoaufklärung orientieren können, darunter die
Frage nach der diesbezüglichen Relevanz medizinischer Statistiken. Im Übrigen gibt es gewisse Besonderheiten
der Risikoaufklärung bei Diagnosemaßnahmen sowie bei den Korridor des medizinischen Standards verlassende
Behandlungskonzepte (sog. Außenseiter- bzw. Neulandmethoden). Aber der Reihe nach.
Sinn und Zweck der Selbstbestimmungsaufklärung besteht wiederum darin, dem Patienten die Schwere und Tragweite eines etwaigen
Eingriffs zu verdeutlichen, damit er eine ausreichende Entscheidungsgrundlage für die Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts erhält.
Dabei obliegt es Ärzten aber nicht, medizinisches Detailwissen zu vermitteln [Bundestags-Drucksache 17/10488 S. 24]. Dies entspricht
der Rechtsprechung, wonach der Patient nicht exakt in einem medizinischen Sinne informiert werden muss, nach der Aufklärung aber
jedenfalls „im Großen und Ganzen“ wissen muss, worin er einwilligt [BGH, Beschl. vom 16. August 2022 – Az.: VI ZR 342/21]. Vor dem
Hintergrund dieser allgemeinen Vorbemerkungen kann sich nunmehr Fragen der Eingriffsaufklärung zugewandt werden. Wenn dabei – und
demnächst bei der Risikoaufklärung – zuvörderst Entscheidungen zu anderen medizinischen Fachdisziplinen zur Sprache kommen, ist
es unschädlich, weil jedenfalls das juristische Haftungsregime identisch ist und die Entscheidungen damit entsprechend übertragbar
sind.
a) Ausgangsprämissen
Sinn und Zweck der Risikoaufklärung ist es, den Patienten über nicht ganz außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegende
Risiken zu informieren, soweit sie für seine Entscheidung für oder gegen den Eingriff von Bedeutung sein können.
Er muss eine allgemeine Vorstellung von der Schwere des Eingriffs und den damit spezifisch verbundenen Risiken
vermittelt bekommen, ohne sie zu beschönigen oder zu verschlimmern [BGH, Urt. vom 19. Oktober 2010 – Az.: VI ZR 241/09].
Dafür wiederum ist eine Relation anzustellen: Der Aufklärungsumfang wird einerseits bestimmt durch das Gewicht
der medizinischen Indikation, das sich wiederum aus der Notwendigkeit des geplanten Eingriffs (absolut versus relativ),
seiner zeitlichen Dringlichkeit und den Heilungschancen ergibt, und andererseits durch die Schwere der Schadensfolgen
für die Lebensführung des konkreten Patienten im Fall der Risikoverwirklichung
[BGH, Urt. vom 18. November 2008 – Az.: VI ZR 198/07]. Auf Basis dieser Aspekte ist eine Nutzen-Risiko-Relation
anzustellen, die wiederum Umfang und Intensität der Aufklärung präjudiziert.
Ebenso ist bei Diagnosemaßnahmen zu verfahren [BGH, Urt. vom 18. November 2008 – Az.: VI ZR 198/07]: Wenn
sie dringend und vital oder zumindest bedingt vital indiziert sind, ist im normalen Umfang über die damit verbundenen
Risiken aufzuklären, sprich Patienten ist eine allgemeine Vorstellung von der Schwere des Eingriffs und den damit
spezifisch verbundenen Risiken zu vermitteln, ohne sie zu beschönigen oder zu verschlimmern. Ansonsten
ist – insbesondere bei diagnostischen Maßnahmen ohne therapeutischen Eigenwert – diagnostischem
Perfektionismus oder sogar wissenschaftlicher Neugier vorzubeugen. In solchen Fällen bedarf es vielmehr
einer besonders sorgfältigen Abwägung zwischen der diagnostischen Aussagekraft (etwa beim PSA-Test),
den Klärungsbedürfnissen und den besonderen Risiken für Patienten. Im Ergebnis unterscheidet sich die
Risikoaufklärung über eine diagnostische Maßnahme damit nicht wesentlich von der über einen therapeutischen
Heileingriff.
Nicht erforderlich ist übrigens die exakte medizinische Beschreibung der in Betracht kommenden Risiken.
Wenn etwa im Aufklärungsgespräch bzw. -formular auf das (Operations-)Risiko einer „Lähmung“ hingewiesen
wird, genügt dies, ohne dass die medizinischen Ursachen dafür erläutert werden müssen, selbst wenn insofern
mehrere Szenarien denkbar sind [BGH, Urt. vom 15. Februar 2000 – Az.: VI ZR 48/99]. Ebenso kann
grundsätzlich unterstellt werden, dass damit eine dauerhafte Lähmung gemeint ist. Ohne konkrete Anhaltspunkte
muss der Arzt dagegen nicht einkalkulieren, dass der Patient damit eine bloß vorübergehende Lähmung impliziert.
Es ist vielmehr Sache bzw. Obliegenheit des Patienten, Einzelheiten über Art und Umfang des Lähmungsrisikos
zu erfragen [BGH, Urt. vom 11. Oktober 2016 – Az.: VI ZR 462/15]. Dies lässt sich aus § 630c Abs. 1 BGB
ableiten, der vorsieht, dass Arzt und Patient bei der Behandlung zusammenwirken sollen, und damit
entsprechende Compliance von Patienten zu deren Obliegenheit macht. Freilich kann es nicht schaden,
wenn Ärzte den Hinweis auf die (Ir-)Reversibilität solcher gravierenden Risiken von sich aus erteilen.
b) Risikodichte
Im Zusammenhang mit der Risikoaufklärung stellt sich immer wieder die Frage, ob die statistische Wahrscheinlichkeit
eines (Operations-)Risikos von Relevanz dafür ist, ob darüber aufgeklärt werden muss. Es entspricht aber der
Rechtsprechung [BGH, Urt. vom 19. Oktober 2010 – Az.: VI ZR 241/09], dass die Notwendigkeit zur Aufklärung
über ein spezifisch mit der Therapie verbundenes Risiko nicht davon abhängt, mit welcher Häufigkeit es sich realisiert,
sog. Komplikationsrate bzw. Risikodichte. Entscheidend ist vielmehr die Bedeutung des Risikos für den konkreten
Patienten. Bei einer möglichen besonders schweren Belastung für seine künftige Lebensführung ist er selbst über
solche Risiken zu informieren, die sich – statistisch betrachtet – eher sehr selten verwirklichen.
Risikostatistiken mögen ein Indiz für einen aufklärungspflichtigen Umstand liefern, sind im Übrigen aber für das Maß
der Aufklärung bloß von geringem Wert und jedenfalls von untergeordneter Bedeutung [BGH,
Urt. vom 30. September 2014 – Az.: VI ZR 443/13]. Entscheidend für die ärztliche Hinweispflicht ist nicht ein
bestimmter Grad der Risikodichte, insbesondere nicht eine bestimmte Statistik [BGH, Urt. vom 15. Februar 2000 – Az.: VI ZR 48/99].
Vor diesem Hintergrund sollte man sich damit zurückhalten, Patienten genaue oder annährend genaue
Prozentzahlen über die Möglichkeit der Verwirklichung eines Behandlungsrisikos mitzuteilen. Ganz im Gegenteil:
Wenn sie beim Patienten durch eine unzutreffende Darstellung der Risikohöhe eine falsche Vorstellung über das
Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren erwecken und dadurch ein – im medizinischen Sinne – verhältnismäßig
häufig auftretendes Operationsrisiko verharmlost wird, genügt man seiner Aufklärungspflicht nicht
[BGH, Beschl. vom 16. August 2022 – Az.: VI ZR 342/21]. Ebenso wenig haben sich Wahrscheinlichkeitsangaben
in Aufklärungsgesprächen bzw. -formularen an den in Beipackzetteln für Medikamente verwendeten Häufigkeitsdefinitionen
des Medical Dictionary for Regulatory Activities zu orientieren [BGH, Urt. vom 29. Januar 2019 – Az.: VI ZR 117/18].
Über „selten“ und „gelegentlich“ machen sich Ärzte und Patienten schließlich nicht selten eher unterschiedliche
Vorstellungen.
c) Risikokenntnis
Während die Risikodichte für die Aufklärungshaftung bloß von nachrangiger Bedeutung ist, kann die Risikokenntnis
dagegen für die Haftung wegen eines Aufklärungsversäumnisses bzw. -mangels von entscheidender Bedeutung sein.
Dabei wiederum muss zwischen der Kenntnis auf Patientenseite und dem ärztlichen Wissen um das Risiko differenziert
werden. Risikokenntnis auf Patientenseite kann dazu führen, dass die Aufklärung „ausnahmsweise aufgrund besonderer
Umstände entbehrlich ist“ (§ 630e Abs. 3 BGB). Darum geht es an dieser Stelle aber nicht, sondern vielmehr um die
Risikokenntnis auf ärztlicher Seite.
Im gesetzlichen Ausgangspunkt schulden Ärzte eine Behandlung „nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden,
allgemein anerkannten fachlichen Standards“ (§ 630a Abs. 2 BGB). Deshalb kommt es nicht auf den medizinischen
Kenntnisstand zur Zeit des – u.U. erst Jahre später stattfindenden – Arzthaftungsprozesses an, sondern auf den im
Zeitpunkt der Behandlung. Der medizinische (Erkenntnis-)Fortschritt zwischen dem streitgegenständlichen
medizinischen Eingriff und seiner gerichtlichen Aufarbeitung bleibt damit außen vor. Darauf hat das Gericht übrigens
medizinische Sachverständige bei Bedarf hinzuweisen. Der Umfang der Risikoaufklärung und eines diesbezüglichen
ärztlichen Verschuldens orientiert sich damit am medizinischen Kenntnisstand im Zeitpunkt der Behandlung.
Vor diesem gesetzlichen Hintergrund ist es bloß folgerichtig, dass der BGH eine Aufklärungspflicht des Arztes bloß
für ein solches Risiko anerkennt, das im Zeitpunkt der Behandlung bereits bekannt war. Wenn es dem behandelnden
Arzt dagegen nicht bekannt war und ebenso wenig bekannt sein musste, weil es bloß in anderen Spezialgebieten
der medizinischen Wissenschaft, nicht aber in seinem Fachgebiet diskutiert wurde, entfällt seine Haftung mangels
schuldhafter Pflichtverletzung [BGH, Beschl. vom 29. Mai 2018 – Az.: VI ZR 370/17]. Unmögliches kann selbst
das Recht nicht verlangen.
Aber Vorsicht: Wenn sich ein Risiko aus allgemeinen anatomischen Gegebenheiten ableiten lässt
(konkret: Querschnittlähmung infolge wirbelsäulennaher Injektion), muss darüber informiert werden. Es handelt
sich, selbst wenn es sich bis dahin noch nicht realisiert haben sollte, nicht bloß um ein theoretisches Risiko,
sondern aufgrund der anatomischen Verhältnisse um ein konkret denkbares, zumal für die weitere Lebensführung
des Patienten gravierendes Risiko, über das aufgeklärt werden muss, damit er es in seine Abwägung einbeziehen
kann [BGH, Urt. vom 6. Juli 2010 – Az.: VI ZR 198/09]. Die genaue Grenzziehung lässt sich im Übrigen bloß
im jeweiligen Einzelfall aufgrund seiner konkret-individuellen Besonderheiten vornehmen.
Schlussendlich müssen Ärzte, solange es jedenfalls nicht um eine Außenseitermethode geht, keinesfalls darauf
hinweisen, dass der Eintritt bislang unbekannter Komplikationen in der Medizin nie ganz auszuschließen ist. Sie
sind für die Entscheidungsfindung von Patienten nicht von Bedeutung und würden sie im Einzelfall sogar unnötig
verwirren und beunruhigen. Etwas anderes gilt erst, wenn ernsthafte Stimmen in der medizinischen Wissenschaft
auf bestimmte mit der Behandlung verbundene Gefahren hinweisen, die nicht als unbeachtliche Außenseitermeinungen
abgetan werden können, sondern vielmehr als gewichtige Warnungen angesehen werden müssen
[BGH, Urt. vom 13. Juni 2006 – Az.: VI ZR 323/04]. Daraus erklärt sich übrigens der tiefere Sinn der ärztlichen
Fortbildungspflicht, deren Vernachlässigung sich in dieser Hinsicht nicht bloß berufsrechtlich, sondern ebenso
haftungsrechtlich rächen kann.
d) Außenseitermethoden
Besonderheiten der Risikoaufklärung, es klang bereits subkutan an, bestehen bei (operativen) Neuland- bzw.
Außenseitermethoden oder individuellen Heilversuchen mit Arzneimitteln: Im Ausgangspunkt sind die geschilderten
Anforderungen an die Risikoaufklärung selbstverständlich nicht geringer, sondern vielmehr ungleich größer. Über
bekannte Risiken ist in jedem Falle aufzuklären. Damit hat es sich aber nicht: Es muss ferner überhaupt darauf
hingewiesen werden, „dass der geplante Eingriff (noch) nicht medizinischer Standard ist und seine Wirksamkeit
statistisch (noch) nicht erwiesen ist“ [BGH, Urt. vom 15. Oktober 2019 – Az.: VI ZR 105/18]. Darüber hinaus muss –
anders als bei standardgemäßer Behandlung – darauf aufmerksam gemacht werden, dass unbekannte Risiken
derzeit nicht auszuschließen sind [BGH, Urt. vom 27. März 2007 – Az.: VI ZR 55/05]. Die Aufklärung über bekannte
Risiken, die sich später beim Eingriff realisieren, heilt übrigens nicht das Unterlassen der gerade geschilderten
zusätzlichen Hinweise [BGH, Urt. vom 22. Mai 2007 – Az.: VI ZR 35/06]. Diesen gesteigerten Anforderungen an
seine Aufklärungspflicht sollte sich der behandelnde Arzt bewusst sein, wenn er sich zur Anwendung eines nicht
allgemein anerkannten, den Korridor des medizinischen Standards verlassenden Behandlungskonzepts entschließt,
wozu er sich im Rahmen seiner ärztlichen Therapiefreiheit aber durchaus entschließen darf, solange er als Korrektiv
dazu und zur Wahrung der Patientenautonomie den insofern gesteigerten Aufklärungspflichten genügt.
Daneben hat er sich – wegen § 630h Abs. 2 und 3 BGB – um eine ausreichende Dokumentation der zusätzlich
erteilten Hinweise zu bemühen, um im Arzthaftungsprozess einigermaßen ausreichend gegen den vom Patienten
vielleicht erhobenen Einwand eines Aufklärungs- und/oder Dokumentationsmangels gewappnet zu sein. Damit
soll es mit materiellen Aufklärungsaspekten sein Bewenden haben.
Verfasser:
Prof. Dr. iur. Matthias Krüger, München
matthias.krueger@jura.uni-muenchen.de
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