„Houston, wir haben ein Problem“:
Das kleine Geschäft unter Weltraumbedingungen


Die heroische Geschichte der Raumfahrt hat auch ihre profanen Seiten. So werfen alltägliche Bedürfnisse wie die Mictio unversehens diffizile Probleme auf. Sich in der „Leere“ zu entleeren ist für Astronauten, Kosmonauten oder Taikonauten mit nicht zu unterschätzender Komplexität verbunden. Neben der physiologischen Problematik des Urinierens unter Schwerelosigkeit werden in einem aktuellen Überblick praktische Schwierigkeiten bei der Miktion und deren Lösungen beleuchtet, die die Raumfahrer seit den Anfängen bis zur heute dauerhaft bemannten/befrauten ISS begleiteten.

Physikalische und physiologische Besonderheiten bei der Blasenfunktion im Weltraum

Unter Schwerelosigkeit verändern sich die auf die Harnflüssigkeit einwirkenden Kräfteverhältnisse grundlegend. Urin sammelt sich nicht am Blasenhals, sondern haftet der Blasenwand an. Denn ohne Gravitationseinfluss avanciert die Oberflächenspannung des Wassers zur dominierenden Kraft. Dabei setzt der Drang zum Urinieren erst bei Distension der vollständig gefüllten Blase ein. Diese sensorische Beeinträchtigung ist mit weiteren Hemmnissen wie willentliches Hinauszögern der Blasenentleerung aufgrund eines vorgegebenen Miktionszeitplans oder Entsorgungsproblemen wie auch anticholinerger Wirkung von Antiemetika gegen Raumkrankheit vermischt. Möglicherweise kommt es auch zur Demaskierung einer subklinischen Blasenentleerungsstörung.

Die Autorinnen berichten von neun dokumentierten Fällen, in denen es trotz zeitlich festgelegter Miktion zum Harnverhalt gekommen ist. Solche Episoden treten meist während der ersten 48 Stunden im All auf. Frauen sind erheblich gefährdeter als Männer. Die Schwere solcher Vorfälle veranlasste die NASA, Astronauten in der Selbstkatheterisierung zu unterweisen.

Auch erste „Stippvisiten“ im Weltraum hatten Toilettenprobleme

Toilettenprobleme schienen sich zur Zeit der ersten bemannten, kurzen Weltraummissionen zunächst nicht zu stellen. Doch im Mai 1961 sollte Alan Shepard einen nur 15 Minuten dauernden Flug absolvieren, als ihn eine achtstündige Verzögerung des Starts im Raumanzug festsitzend in Bedrängnis brachten. Ihm blieb letztlich nichts anderes übrig, als in den Raumanzug zu urinieren.

Die zunächst nur aus Männern bestehenden Besatzungen der Weltraumvehikel verwendeten in ihren Raumanzügen verschiedene Sammeltechniken für die Harnflüssigkeit. Zum einen waren hierfür den Kondomen entliehene Urinsammelvorrichtungen richtungsweisend und andererseits waren Windelsysteme und maximal absorbierende Kleidungsutensilien im Einsatz.

Sogwirkung durch „Anzapfen“ des Weltraumvakuums

Die Sovjets nutzten ab 1961 zuerst Vakuum zur Absonderung der Ausscheidungen. Kosmonaut Gherman Titov konnte auf der Mission Vostok-2 in einen Trichter urinieren, in dem ein Gebläse-betriebener Saugeffekt die Abscheidung des Urins in einen Sammelbehälter ermöglichte. Mit veränderter Trichterform konnte dann 1963 die Kosmonautin Valentina Tereshkova während dreitägiger Erdumrundungen ihren Bedürfnissen nachkommen. Späterhin wurden ähnliche Systeme an Bord der Saljut-Raumstationen verwendet.

Auf der Apollo-Mission der Amerikaner wurde 1969 eine Technik eingeführt, die den Druckunterschied zwischen der Kabinenathmosphäre und dem Weltraum zum Absaugen der Harnflüssigkeit diente. Um den Verlust an Sauerstoffatmosphäre möglichst gering zu halten, war der Sogeffekt möglichst gering einzustellen. Bei Frauen reichte das nicht aus, so dass dieses Verfahren späterhin durch inzwischen ausgereiftere Toilettentechniken abgelöst wurde.

„Geschmacksache“: Aufarbeitung von Urin zu Trinkwasser

Wasser gehört in der Internationalen Raumstation ISS zu den äußerst knappen Ressourcen. Das richtet den Blick auf die Natur, in der alles Wasser ständig einem Regenerationskreislauf unterliegt. Mit der aktuellen Technik lässt sich eine 93%ige Aufbereitungsquote von Abwasser auf Raumstationen erreichen. Es wird destilliert, gefiltert, oxidiert und jodiert, so dass letztlich Trinkwasser resultiert.

In der Akzeptanz von aus Urin aufbereitetem Trinkwasser scheiden sich die Geister, d. h. die der Amerikaner und Russen. Während die amerikanischen Astronauten recycelten Urin trinken, warten die russischen Kosmonauten noch ab. Das führte sogar zu einem Tauschgeschäft von russischem Urin gegen amerikanische Solarenergie. Sollten sich Menschen eines Tages auf Marsexpedition begeben, ließe sich das Recyceln von Abwässern jeder Art keinesfalls umgehen.

Maciolek KA, Best SL, 2019. How do astronauts urinate? The history of innovations enab­ling voiding in the void. Urology 128:8-13.

Juni  2019

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