Extrem resistente Bakterien breiten sich aus:
Neue In-vitro-Studie belegt Wirkung von Isothiocyanat gegen multiresistente E. coli


Extrem resistente Bakterien, gegen die herkömmliche Antibiotika immer häufiger keine Wirkung mehr zeigen, stellen Ärzte und Wissenschaftler zunehmend vor große Herausforderungen. In Europa sterben 33.000 Menschen pro Jahr an Infektionen mit multiresistenten Keimen, wie aus einem Bericht der Europäischen Seuchenbehörde ECDC hervorgeht [1]. Die Anzahl an Todesfällen, die sich auf eine Infektion mit solchen Erregern zurückführen lassen, hat sich damit zwischen 2007 und 2015 in Europa mehr als versechsfacht [2]. Um der Ausbreitung resistenter Keime entgegenzuwirken, fordern Experten daher seit vielen Jahren, bei banalen Infektionen wie akuten Harn- und Atemwegsinfektionen statt Antibiotika bevorzugt bewährte und antibakteriell wirksame Pflanzenstoffe wie die Senföle (Isothiocyanate, ITC) aus Kapuzinerkresse und Meerrettich einzusetzen[3]. Eine neue Studie von Wissenschaftlern aus Taiwan hat jetzt gezeigt, dass das in Kapuzinerkresse enthaltene Benzyl-ITC sogar gegen multiresistente E. coli wirkt [4], die gegen viele gängige Antibiotika schon Resistenzen gebildet haben [5]. Bereits frühere In-vitro-Studien der Universität Freiburg [6,7] sowie mehrere internationale Forschungsarbeiten [8-13] belegen das breite antibakterielle Wirkspektrum der ITC gegenüber klinisch-relevanten Bakterien, sogar gegenüber Problemkeimen wie Klebsiellen, Vancomycin-resistenten Enterokokken oder resistenten E. coli-Stämmen. „Der Einsatz der pflanzlichen Isothiocyanate kann daher einen Beitrag zur Entschärfung der Resistenzproblematik leisten“, sagt Prof. Frank Günther, Marburg. Auf diese Weise könne der Antibiotikagebrauch reduziert und damit der Resistenzdruck verringert werden, so der Facharzt für Mikrobiologie weiter.


Resistente Bakterien stellen weltweit ein wachsendes Problem dar. Eine Forschergruppe des Universitätsklinikums Freiburg hat in einer 2019 in der Fachzeitschrift „Nature Microbiology“ veröffentlichten Untersuchung [14] aufgezeigt, dass sich solche gefährlichen Erreger vor allem auch über Krankenhäuser verbreiten. Eine besondere Gefahr geht dabei von gramnegativen Bakterien wie Klebsiella pneumoniae aus. Der Keim ist ein weit verbreiteter Auslöser von nosokomialen Infektionen. Auf Intensivstationen in Europa ist er der dritthäufigste Erreger von Harnwegsinfektionen, Pneumonien und Blutstrominfektionen [15]. Infolge des übermäßigen Antibiotikaeinsatzes sind die Bakterien meist gegen mehrere Antibiotika resistent [15]. Demgemäß hat auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Klebsiella pneumoniae bereits als „dringende Gefahr für die Gesundheit des Menschen" eingestuft [16].

Mangel an neuen antibiotischen Substanzen erfordert Paradigmenwechsel in der Infektiologie

Die Neuentwicklung antibiotischer Substanzen kann mit dem Anstieg der Resistenzen nicht Schritt halten. So ist seit den 1980er Jahren keine neue Klasse von Antibiotika mehr bekannt geworden [17]. Neue Wirkstoffe können nicht mehr schnell genug entwickelt werden, da es vor allem an den finanziellen Ressourcen mangelt. Denn die Erforschung neuer Antibiotika ist langwierig und kostspielig, zudem ist der Ausgang oft ungewiss. Neu entwickelte und zugelassene Substanzen sollten so selten wie möglich bzw. nur im Notfall eingesetzt werden, wenn bisherige Antibiotika wirkungslos sind. Im Rahmen eines kürzlich von der „Initiative Innovative Arzneimittel" – eine öffentlich-private Partnerschaft zwischen der Europäischen Kommission und der pharmazeutischen Industrie – finanzierten Projekts wurde geschätzt, dass das Inverkehrbringen eines neuen Arzneimittels 1 Milliarde Euro kosten könnte [17]. Der wirtschaftliche Aspekt ist mit ein Grund, warum sich viele der großen Pharmafirmen inzwischen aus der Antibiotikaforschung zurückgezogen haben [18].

Isothiocyanate wirken 3fach – gegen Bakterien, Viren und Entzündungen

„Ein Umdenken in der Infektiologie ist demzufolge dringend erforderlich“, erklärt Prof. Günther. „So sollten zum Beispiel bei akuten unkomplizierten Infektionen wie Blasenentzündungen oder Erkältungskrankheiten bevorzugt arzneilich wirksame Pflanzensubstanzen wie die Isothiocyanate aus Kapuzinerkresse und Meerrettich eingesetzt werden“, betont der Experte. In diesem Sinne werden in der aktuellen S3-Leitlinie „Unkomplizierte Harnwegsinfektionen“ der Deutschen Gesellschaft für Urologie und weiterer Fachgesellschaften erstmals auch Behandlungsstrategien empfohlen, die auf Antibiotika verzichten [19]. Dazu zählen antiphlogistisch wirksame Substanzen, insbesondere aber auch der Einsatz evidenzbasierter Phytopharmaka wie zum Beispiel Kapuzinerkresse und Meerrettich. Die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Pflanzenkombination in der antiinfektiven Therapie von akuten unkomplizierten Infektionen der Harn- und Atemwege ist durch Studien umfassend wissenschaftlich dokumentiert [20-23].
So belegen In-vitro-Studien der Universität Freiburg [6,7] sowie internationale Forschungsarbeiten [8-13], dass die in den beiden Pflanzen enthaltenen ITC eine ausgeprägte antibakterielle Wirkung gegenüber grampositiven und gramnegativen Keime besitzen. Dazu gehören zum Beispiel auch multiresistente Bakterien wie K. pneumoniae oder E. coli, gegen die chemisch-synthetische Antibiotika immer häufiger wirkungslos sind [24]. Bei den Untersuchungen der Universität Freiburg [6,7] waren keine wesentlichen Wirkungsunterschiede zwischen den multiresistenten und den korrespondierenden nicht-resistenten Phänotypen zu beobachten. Die Pflanzenstoffe sind daher auch bei Nachweis von resistenten bzw. multiresistenten Erregern eine Behandlungsoption. Weitere In-vitro-Studien bestätigen zudem die antivirale [25-27] und antiphlogistische Wirkung der Isothiocyanate [28-36].
„Wegen des umfassenden antiinfektiven Wirkungsprofils der Isothiocyanate sowie der passiven Reduktion der Antibiotikaresistenzen kann die Pflanzenkombination aus Kapuzinerkresse und Meerrettich bei akuten unkomplizierten und häufig rezidivierenden Infektionen der Harn- und Atemwege als erfolgsversprechende Therapieoption eingesetzt werden“, erläutert Prof. Günther. Zudem werde auf Grund der multimodalen Wirkansätze der ITC bei Bakterien die Entwicklung möglicher Resistenzmechanismen gegen diese Pflanzensubstanzen deutlich erschwert, resümiert der Mikrobiologe.

Literatur
[1] Cassini A. et al. Attributable deaths and disability-adjusted life-years caused by infections with antibiotic-resistant bacteria in the EU and the European Economic Area in 2015: a populationlevel modelling analysis. Lancet Infect Dis 19 (1): 56-66 (2019)
[2] „Bakterien mit extrem hoher Antibiotikaresistenz verbreiten sich über Krankenhäuser“. Pressemeldung des Informationsdienst Wissenschaft (IWD) vom 30.7.2019
[3] Konsensus zum interdisziplinären Experten-Round-Table: Synthetische Antibiotika versus pflanzliche Arzneimittel – Die Therapie akuter und rezidivierender Harnwegsinfektionen, 19.11.2012, Frankfurt am Main
[4] Lin K.H. et al. Synergistic actions of benzylisothiocyanate with ethylenediaminetetraacetic acid and efflux pump inhibitor phenylalanine-arginine ß-naphthylamide against multidrug-resistant Escherichia coli. Microb Drug Resist 26 (5): 468-474 (2020)
[5] Tandogdu Z. et al. Resistance patterns of nosocomial urinary tract infections in urology departments: 8-year results of the global prevalence of infections in urology study. World J Urol 32 (3): 791-801 (2014)
[6] Conrad A. et al. Broad spectrum antibacterial activity of a mixture of isothiocyanates from nasturtium (Tropaeoli majoris herba) and horseradish (Armoraciae rusticanae radix). Drug Res 63 (2): 65–68 (2013)
[7] Conrad A. et al. In-vitro-Untersuchungen zur antibakteriellen Wirksamkeit einer Kombination aus Kapuzinerkressenkraut (Tropaeoli majoris Herba) und Meerrettichwurzel (Armoraciae rusticanae radix). Drug Res 56 (12): 842-849 (2006)
[8] Dufour V. et al. The antibacterial properties of isothiocyanates. Microbiology 161 (Pt 2): 229-243 (2015)
[9] Romeo L. et al. An overview of their antimicrobial activity against human infections. Molecules 23 (3): E624 (2018)
[10] Aires A. et al. The antimicrobial effects of glucosinolates and their respective enzymatic hydrolysis products on bacteria isolated from the human intestinal tract. Journal Appl Microbiol 106 (6): 2086-2095 (2009)
[11] Borges A. et al. Antibacterial activity and mode of action of selected glucosinolates hydrolysis products against bacterial pathogens. J Food Sci Technol 52 (8): 4737- 4748 (2015)
[12] Dias C. et al. Antimicrobial activitiy of isothiocyanates from cruciferous plants against methicillinresistant Staphylococcus aureus (MRSA). Int J Mol Sci 15 (11): 19552-19561 (2014)
[13] Kurepina N. et al. Growth-inhibitory activity of natural and synthetic isothiocyanates against representative human microbial pathogens. J Appl Microbiol 115 (4): 943-954 (2013)
[14] David S. et al. Epidemic of carbapenem-resistant Klebsiella pneumoniae in Europe is driven by nosocomial spread. Nat Microbiol 4 (11): 1919–1929 (2019)
[15] „Mecklenburg-Vorpommern: Der multiresistente Erreger könnte aus Russland stammen. Deutsches Ärzteblatt-online, 29. Oktober 2019
[16] “World Health Organization: Klebsiella pneumoniae is an urgent threat to human health. Meldung von Agence France-Press (AFP. 14. Januar 2017)
[17] „Bekämpfung der Antibiotikaresistenz: trotz Fortschritten im Tiersektor stellt diese Gesundheitsbedrohung für die EU nach wie vor eine Herausforderung dar“. Sonderbericht 2019 des Europäischen Rechnungshofs / Europäische Union [online]
[18] „Multiresistente Erreger - Antibiotikaforschung in den Medien: Es könnte mehr sein!“ Deutsches Ärzteblatt-online, 13. September 2019
[19] S3-Leitlinie unkomplizierte Harnwegsinfektion – Update 2017 [Interdisziplinäre S3 Leitlinie „Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten“, AWMF-Register-Nr. 043/044]
[20] Goos K.-H. et al. Wirksamkeit und Verträglichkeit eines pflanzlichen Arzneimittels mit Kapuzinerkressenkraut und Meerrettich bei akuter Sinusitis, akuter Bronchitis und akuter Blasenentzündung im Vergleich zu anderen Therapien unter den Bedingungen der täglichen Praxis. Drug Res 56 (3): 249-257 (2006)
[21] Goos K.-H. et al. Aktuelle Untersuchungen und Verträglichkeit eines pflanzlichen Arzneimittels mit Kapuzinerkressenkraut und Meerrettich bei akuter Sinusitis, akuter Bronchitis und akuter Blasenentzündung bei Kindern im Vergleich zu anderen Antibiotika. Drug Res 57 (4): 238-246 (2007)
[22] Albrecht U. et al. A randomised, double-blind, placebo-controlled trial of a herbal medicinal product containing Tropaeoli majoris herba (Nasturtium) and Armoraciae rusticanae radix (Horseradish) for the prophylactic treatment of patients with chronically recurrent lower urinary tract infections. Curr Med Res Opin 23(10): 2415-2422 (2007)
[23] Fintelmann, V. et al. Efficacy and safety of a combination herbal medicinal product containing Tropaeoli majoris herba and Armoriciae rusticanae radix for the prophylactic treatment of patients with respiratory tract diseases: a randomized, prospective, double-blind, placebo-controlled phase III trial. Curr Med Res Opin 28 (11): 1799-1807 (2012)
[24] “Antimicrobial resistance surveillance in Europe 2015”, World Health Organization (WHO, online. 30. Januar 2017)
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[26] Sprössig M., Schabinski-Stepan M. Einfluss des Wirkstoffes aus der Kapuzinerkresse auf die intrazelluläre Virussynthese. Zeitschr. f. Hygiene 143: 215-222 (1956)
[27] Winter A.G., Rings-Willeke L. Untersuchungen über den Einfluss von Senfölen auf die Vermehrung des Influenza-Virus im exembryonierten Hühnerei. Arch Microbiol 31: 311-318 (1958)
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Red.

Juni 2020


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