Wie entsteht eine bösartige Form des Hodenkrebses?

Bezüglich Epigenetik und Expression ähneln Seminome Carcinoma in situ (CIS)-Zellen – dem gemeinsamen Vorläufer der Keimzellkarzinome. Embryonale Karzinome sind hingegen totipotent und differenzieren zu Teratomen, Dottersacktumoren und Chorionkarzinomen. Keimzellkarzinome können als Seminome mit einer nicht-seminomatösen Komponente auftreten. Daraus resultiert die Frage, ob aus einem CIS zugleich Seminome und Embryonale Karzinome entstehen können, oder ob Seminome zu Embryonalen Karzinomen umprogrammiert werden können. Dem gingen Forscher der Universität Bonn zusammen mit spanischen Kollegen in einer umfangreichen Studie nach.

Die Wissenschaftler injizierten menschliche Seminomzellen in Mäuse. Im Flankengewebe der Maus verwandelten sich diese Zellen binnen weniger Wochen zu einem Embryonalen Karzinom. Embryonale Karzinome wachsen sehr aggressiv und schnell. Transplantierten die Forscher die Seminomzellen dagegen in den Mäusehoden, behielten die Zellen ihren ursprünglichen Charakter bei.

Die meisten Hodentumoren entstehen aus bestimmten unreifen Zellen, den primordialen Keimzellen. Im Prinzip sind das Vorläufer der Spermien, die aber in einem sehr frühen Entwicklungszustand stehen geblieben sind. Sie sind daher noch nicht auf eine Karriere als Spermium festgelegt, sondern können sich noch in unterschiedliche Gewebetypen entwickeln und leider auch zu Tumorgewebe entarten.p>

Tumor im Winterschlaf

Diese so genannten CIS-Zellen (Carcinoma in situ) liegen über viele Jahre im Hoden im „Winterschlaf“. Vermutlich in der Pubertät vermehren sich CIS-Zellen. Dabei entsteht ein Seminom – oder eben ein Embryonales Karzinom.

Kontakt zu Nicht-Hodenzellen macht Tumor aggressiv

Bislang vermutete man, dass es in den CIS-Zellen zu zusätzlichen Mutationen kommen muss, damit sie sich zu einem Embryonalen Karzinom entwickeln. „Wir konnten nun aber zeigen, dass dazu der Kontakt zu Zellen außerhalb des Hodens ausreicht“, erklärt Prof. Dr. Hubert Schorle vom Institut für Pathologie der Universität Bonn.

Der Unterschied zwischen Seminom- und Embryonalen Karzinomzellen liegt in den Karrierewegen, die ihnen offen stehen. Zwar sind beide Zelltypen im Prinzip noch nicht auf eine bestimmte Entwicklung festgelegt, in Seminomzellen werden aber zelleigene Regulatoren dieser Freiheit Zügel angelegt. Verantwortlich dafür ist der so genannte Bone Morphogenetic Protein (BMP)-Signalweg, der in ihnen aktiv ist.

„Körperzellen außerhalb des Hodens sind in der Lage, diesen BMP-Weg zu hemmen“, sagt Schorle. „Dadurch werden andere Regulatoren ausgeschüttet, die die Seminomzellen gewissermaßen entfesseln.“ So verwandelt sich das Seminom in ein Embryonales Karzinom. Dieses ist in der Lage, sich in ganz unterschiedliche Gewebetypen zu differenzieren. Embryonale Karzinome enthalten daher oft nebeneinander Muskelgewebe, Nervenzellen und sogar Zahngewebe.

Schnelle Therapie wichtig

Wenn Seminomzellen heranwachsen, durchbrechen sie irgendwann die Wand der Hodenkanälchen. Sie kommen dann fast zwangsläufig mit Körperzellen in Kontakt, die den BMP-Weg hemmen und damit eine gefährliche Entwicklung einleiten können. Auch daher ist es wichtig, Hodentumore frühzeitig zu therapieren, betont Schorle.

Die Ergebnisse der Studie berühren nicht nur die Krebsforschung. Stammzellforscher versuchen seit einiger Zeit, gezielt Zelltypen ineinander umzuwandeln, um so zum Beispiel Ersatzgewebe zu züchten. Auch für sie dürften die beschriebenen Mechanismen und Erkenntnisse von Interesse sein.

Damit sich bestimmte Arten von Hodentumoren von einer relativ gutartigen in eine aggressivere Form umwandeln, reicht es aus, wenn sie mit Zellen außerhalb des Hodens in Kontakt treten.


Nettersheim D, Jostes S, Sharma R, et al. 2015. BMP inhibition in seminomas initiates acquisition of pluripotency via NODAL signaling resulting in reprogramming to an embryonal carcinoma; PLOS Genetics; DOI: 10.1371/journal.pgen.1005415

September 2015   red.drucken