Andrologische Highlighs vom IVF-Weltkongress
Wie gesund sind die Kinder, die mit Hilfe der assistierten Reproduktion (ART)
zur Welt kamen? Beim Transfer frischer Embryonen sind auch Einlinge oft „zu leicht",
bei Übertragung aufgetauter Embryonen (Kryotransfer) dagegen relativ „zu schwer". In
der Kindheit normalisieren sich die meisten Parameter, einige bleiben jedoch diskret
verändert. Ein Update präsentierten Experten beim Kongress der European Society for
Human Reproduction and Embryology.
Bei IVF/ICSI-Kindern bleibt das Risiko für große Fehlbildungen bei fast 100.000 IVF-
und ICSI-Einlingen signifikant erhöht (aOR 1,30, 95% CI 1,24-1,36) gegenüber spontan
konzipierten Einlingen (fast 5 Mio.).
Kryokinder: Mit neun Jahren höherer Fettanteil
Die langfristigen Auswirkungen des Kryotransfers auf die Gesundheit werden in
einer Kohortenstudie in Dänemark (HiCART) untersucht. Die präliminären Ergebnisse
von 289 Kindern im Alter von knapp neun Jahren: Trotz des höheren Geburtsgewichtes
fand sich kein Unterschied im Body Mass Index (BMI) zur Referenzpopulation von
spontan konzipierten Kindern. Die Jungen aus Kryozyklen waren im Vergleich größer
gewachsen und wiesen einen höheren Bauchumfang auf. Sowohl bei Jungen (n=134) als
auch bei Mädchen (n=155) wurde ein höherer Fettanteil – bei Jungen ausgeprägter – als
in der Vergleichsgruppe ermittelt.
Schlechtes Sperma – langsam wachsendere Embryonen
Höheres Alter und herabgesetzte Spermienqualität des Mannes beeinflussen die
Embryonalentwicklung nach ICSI negativ. Professor Michael Zitzmann (Münster)
verwies dabei auf eine brasilianische Studie mit signifikant (p<0,001) verminderten
Implantations- und Schwangerschaftsraten: Bisherige Studien zum Einfluss der
Samenqualität auf morphokinetische Parameter der Embryonalentwicklung waren
widersprüchlich. Eine retrospektive Analyse aus Sao Paulo zeigte jetzt bei
ICSI-Patienten eine deutlich verlängerte Zeitspanne bei allen Zellteilungen
bis zur Blastozystenbildung. Sowohl das Alter der Männer als auch eine schlechte
Samenqualität (Progressivmotilität, Dichte) – und die (längere)
Ejakulations-Abstinenz - gingen mit einer langsameren Embryonalentwicklung
im Time-lapse-System (TLS) einher.
Kryospermien bei ICSI nicht schlechter
Die Kryokonservierung von Spermien schmälert die Erfolgsaussichten von ICSI-Paaren
nicht, die Geburtenraten sind vergleichbar wie beim Einsatz frisch aufgereinigter
Spermatozoen. Dies gilt auch für Samenzellen aus unterschiedlichen Quellen (testikulär,
epididymal, ejakuliert).
Epididymale Spermien: Cauda besser als Caput?
Bei Männern mit obstruktiver Azoospermie werden oft epididymale Spermien gewonnen,
bevorzugt aus dem Caput. Das Team von Professor Zev Rosenwax hat in New York in
einer kleinen Reihe das Potenzial der Samenzellen aus Caput, Corpus und Cauda
geprüft (n=36, 7, 3) – und dabei zunehmende Fertilisationsraten gefunden (65,8, 77,6, 88%).
Die caudalen Samenzellen hatten auch die höchste Kapazität, das embryonale
Wachstum zu unterhalten, berichtete Dr. Alexis Melnick.
„Match" von Carriern bei zwei von 100 Paaren
Die neuen Möglichkeiten der genetischen Diagnostik erlauben es heute bereits
präkonzeptionell, bei den geplanten Kindern ein potenziell erhöhtes Risiko für
Erbkrankheiten zu ermitteln:
Niedriges Testosteron – und dann?
Ein niedriges Gesamt-Testosteron (<9,2 nmol/l) ist assoziiert mit verminderten
Geburtenraten im IVF-Programm, auch wenn kein männlicher Faktor vorliegt. Der
Unterschied erwies sich in Brüssel bei 1.026 Paaren im ersten IVF-Zyklus als
signifikant (p=0,009). Auch nach Adjustierung war die Wahrscheinlichkeit (OR)
für eine Geburt im Frischzyklus um 65% vermindert.
DNA: Donors Not Anonymous
Der direkte Zugang zu genetischen Tests macht es möglich, bei überschaubaren
Kosten die genetische „Verwandtschaft" zu ermitteln. Über die neuen Methoden
lassen sich Spender von Samen-, Eizellen und auch Embryonen finden, auch wenn
diese selbst nicht in der Datenbank erfasst sind. „Die DNA-Tests haben effektiv
die Anonymität für alle Spender ausgehebelt – unabhängig von den Ländergrenzen",
zitierte der Referent das eindeutige Fazit von Professor Debbie Kenneth aus London.
Spenderkinder können den Vater finden, und umgekehrt der Donor seine Kinder.
Halbgeschwister sind ohne deren Information zu ermitteln, im Falle eines
UK-Arztes rund 600 und eines US-Arztes rund 300. Oktober 2020
IVF/ICSI: Major-Malformationen bleiben erhöht
Wie Prof. Heribert Kentenich (Berlin) berichtete, bestand kein signifikanter
Unterschied zwischen IVF- und ICSI-Kindern, auch nicht hinsichtlich der beteiligten
Organe. Die Malformationen bei der ICSI-Methode betrafen am häufigsten das Herz,
ableitende Harnwege sowie muskuloskelettale Alterationen. Es fand sich kein Unterschied
zwischen ICSI-Kindern aus Frisch- oder aber Kryozyklen.
Das ergab eine Analyse der UK-Registerdaten (HFEA) von 2007 bis 2017 mit rund
200.000 Zyklen, die Dr. Jonathan Lewin (London) präsentierte: Die Geburtenrate
mit Frisch-Sperma lag bei 30,9 %, mit Kryo-Sperma bei 29,8 %. Bei epididymalen
Samenzellen betrugen die Werte 32,6 bzw. 33,2 %, bei testikulären 31,6 %.
Bei den Männern mit Azoospermie, bei denen Spermien aus Nebenhoden und Hoden
eingesetzt wurden, war eine Unterscheidung in obstruktive oder nicht-obstruktive
Formen anhand des Datenmaterials nicht möglich, so der Referent.
Beim „expanded Carrier Screening" von 2.013 Kinderwunsch-Paaren ohne bekannte
familiäre Belastung erwiesen sich 8,6% als Anlageträger für seltene autosomal
rezessive Erkrankungen. Die Untersuchung von 586 Kinderwunsch-Paaren ergab in
immerhin 2,2% ein erhöhtes Risiko für ein betroffenes Kind (zystische Fibrose (CF),
verschiedene Muskeldystrophien, Fragiles X-Syndrom), wie Analysen des Unternehmens
Igenomix in Italien ausweisen.
Dr. Arne Vanhie (Leuven) zeigte sich als Kommentator bei den präsentierten
Highlights beeindruckt von der hohen Prävalenz bei den relativ jungen Paaren.
In Belgien wird die Untersuchung als Selbstzahlerleistung für rund 3.000 Euro
angeboten. Vor ICSI-Zyklen werde allerdings routinemäßig ein CF-Screening
vorgenommen, die Kosten hierfür trage der Staat.
Für Prof. Michael Zitzmann sind Konsequenzen aus diesen Ergebnissen schwierig
abzuleiten: Da Werte zu den Gonadotropin-Spiegeln fehlen, ist keine Zuordnung
zu hypothalamischen, hypophysären oder testikulären Ursachen möglich. Eine
Behandlung mit Gonadotropinen wäre bei sekundärem Testosteronmangel möglich.
Estrogenrezeptor-Blocker oder Aromatasehemmer könnten Off-label eingesetzt
werden, schädigen langfristig aber das Knochengewebe.
Bei hypophysären Störungen ist für Zitzmann eine Therapie mit hCG/hMG oder
FSH bei Kinderwunsch zielführend, wenn keine irreversiblen Hodenschäden vorliegen.
Eine Testosterongabe ist definitiv kontraproduktiv.
Das Problem für Deutschland sind in diesem Zusammenhang Embryonenspenden und
vor allem Altfälle von Samenspenden (vor 2018): Der Vater kann identifiziert
und zur Kasse gebeten werden.
Dr. Renate Leinmüller, Wiesbaden
Bericht vom virtuellen ESHRE-Kongress, 5. bis 8. Juli 2020 und vom Symposium Reprofacts, Mainz, 17. Juli 2020.
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